Logbuch der Redaktion Phantastik und Politik als Seminar-Thema

29. September 2021
Bei dem schönen Wetter konnten sich die Autorinnen und Autoren in Wolfenbüttel auch oft im Freien aufhalten. (Das Bild zeigt im Vordergrund den STELLARIS-Autor Thomas Frick.)

Im Vorfeld war ich ein wenig nervös, weil ich nicht wusste, wie das Thema ankommen würde: Zusammen mit Kathrin Lange sollte ich als Dozent das Seminar »Politisch? Phantastisch? Oder beides zugleich?« leiten. Wir hatten ausdrücklich dafür geworben, dass wir zeigen wollten, wie man in der Science Fiction und in der Fantasy mit politischen Inhalten umgehen kann.

Das Seminar fand vom 3. bis 5. September 2021 an der Bundesakademie für kulturelle Bildung in Wolfenbüttel statt. Im Untertitel war es als »Werkstatt für politische Phantastik« angeboten worden. Das würde – wie ich mir im Vorfeld schon klarmachte – einige Leute abschrecken, dafür aber vielleicht andere Leute anziehen, die »kompliziert« sein könnten. Um es vorwegzunehmen: Meine Befürchtungen waren alle unbegründet.

Ich fuhr am Freitagmorgen los. Wegen des Streiks im Bahnverkehr nahm ich das Auto, kam auch gut durch. In der Akademie checkte ich in mein Zimmer ein, ließ mir die Corona-Schutzvorkehrungen erklären – man hatte ein sehr klares und auch nachvollziehbares Sicherheitskonzept – und führte erste Vorgespräche. Kathrin Lange, meine Co-Dozentin, Dr. Olaf Kutzmutz, der literarische Leiter der Bundesakademie, und ich legten dabei den Kurs für das Seminar fest.

Um 16 Uhr ging es los. Vier Autorinnen und sechs Autoren hatten den Weg nach Wolfenbüttel gefunden; wegen des Streiks hatten es einige nicht geschafft. Und pünktlich trafen ebenfalls nicht alle ein. Wir legten gleich mit einer Vorstellungsrunde los, in der die Autorinnen und Autoren unter anderem davon berichteten, wie es ihnen bislang während der Pandemie ergangen war.

Im späteren Redaktionsgespräch stellten Kathrin und ich die aktuelle Situation im »Literaturgeschäft« dar. Derzeit werden von Verlagen ausdrücklich Romane und Geschichten gesucht, die politische Inhalte vermitteln. Der Klimawandel mit all seinen Auswirkungen, weltweite Finanzkrisen, Flüchtlingsströme und Genderfragen spielen immer stärker in den Bereich der Science Fiction und Fantasy hinein; die Verlage sprechen teilweise offensiv die Autorinnen und Autoren an. Ich betrachtete das ausdrücklich als Chance und schlug den Seminarteilnehmern vor, diese Chance wahrzunehmen.

Nach dem Abendessen kümmerten wir uns um die Texte, die eingereicht worden waren. Alle hatten einen kurzen Text sowie eine Weltenbeschreibung liefern sollen – wir hatten dazu aufgefordert, eine positive Welt zu beschreiben. Im Verlauf des Wochenendes gingen wir all diese Texte durch: Wir diskutierten darüber, wie glaubwürdig das geschilderte Szenario eigentlich ist, und wir sahen uns an, mit welchen Mitteln die Autorinnen und Autoren ihre Figuren und phantastischen Einfälle darstellten.

Abends ging es meist nach dem Abendessen weiter; wir saßen sowohl am Freitag- als auch am Samstagabend in einer lockeren Runde bei Bier und Wein zusammen, redeten über allgemeine Dinge, aber sehr oft eben über das Schreiben im Allgemeinen und die Science Fiction im Besonderen. Uns wurde allen bewusst, wie sehr uns solche Gespräche während der Pandemie bislang gefehlt hatten.

Neben der Arbeit an den eingereichten Texten nahmen wir uns immer wieder politische Inhalte vor. Am Samstagmorgen stellte Kathrin Lange den Roman »Wasteland« von Judith C. und Christian Vogt vor. Sie zeigte, wie das Autorenpaar beispielsweise gesellschaftliche Gegensätze und sprachliche Wandlungen so geschickt in den Roman verpackt hatte, dass er sich trotzdem wie ein spannendes Abenteuerbuch lesen ließ.

In der Folge diskutierten wir darüber, wie man solche Themen in eigenen Geschichten aufgreifen kann – und ob das überhaupt notwendig ist. Hier waren unsere Meinungen durchaus nicht einstimmig, und es entwickelte sich eine kontroverse, aber stets höfliche Diskussion.

Das gleiche gilt für den Programmpunkt, den wir am Abend begannen. Kathrin Lange stellte »Herr der Ringe« vor, das Fantasy-Meisterwerk von J. R. R. Tolkien. In jüngster Zeit wird über das Buch manchmal kritisch diskutiert; die gelegentlich rassistische Darstellung von hellhäutigen Helden und dunkelhäutigen Orks fällt heutzutage stärker ins Gewicht als in den vierziger Jahren.

Wir waren uns in der Runde einig, dass der »Herr der Ringe« trotzdem ein starkes Fantasy-Werk ist, das eben in einer Zeit entstanden ist, in der man über Menschen mit dunkler Hautfarbe anders dachte als im 21. Jahrhundert. Wichtig erschien uns aber, darüber nachzudenken und auch zu sprechen, ob und wie man in der eigenen Arbeit solche Rassismen vermeiden kann.

Am Sonntag stellten wir noch eine Schreibaufgabe. Es sollte eine kurze Skizze erarbeitet werden, die von einer völlig veränderten Welt ausgeht – und wieder war ich völlig fasziniert davon, was in einem solchen Seminar unter Zeitdruck an interessanten Texten entstehen kann. Manche Texte waren so, dass man sie hätte sofort veröffentlichen können, andere blieben eher in Form von Skizzen – spannend war es immer.

Am Sonntag, 5. September, begann ich mit der Heimreise, die sehr zäh verlief. Viele Baustellen sorgten für Staus, der Reiseverkehr kam dazu, und so brauchte ich lang. Aber ich nutzte die Chance, das positive Seminar noch einmal vor meinem inneren Augen ablaufen zu lassen. Nach so langer Zeit war es für mich wunderbar, mal wieder ein Wochenende lang eigentlich nur über Literatur und das »Drumherum« zu diskutieren …

Klaus N. Frick