Karizma (kartoniertes Buch)

Roman
ISBN/EAN: 9783936086621
Sprache: Deutsch
Umfang: 224 S.
Einband: kartoniertes Buch
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'Wenn einer gehen will, dann muss man ihn gehen lassen, oder noch besser, man geht zuerst.'

Victoria hat aufgehört zu modeln, weil sie mit Mitte zwanzig nicht mehr als sechzehn durchgeht. Jetzt langweilt sie sich in Berlin. Als sie dem Rapper Said begegnet, wissen beide, dass sie den Rest des Lebens miteinander verbringen werden. Doch dann verschwindet Said während einer Tournee in den Fluten des Mittelmeers. Auf die Trauer folgt die Einsamkeit, in der Victoria Said wiederzufinden glaubt. Und sie findet ihn – in seiner Sprache und in seiner Musik. Als Karizma wird sie selber Rapstar und befreit sich Schicht um Schicht von der Vergangenheit.

KARIZMA ist Lovestory, Hiphop-Video und Großstadt-Roadmovie, und so lässig und rasant, wie Sara Gmuer die Geschichte ihrer Heldin erzählt, wird schnell klar, dass die Straßen Berlins breiter sind als anderswo. Ein außergewöhnliches Romandebüt, in dem es ohne jede Spur von Kitsch um große Gefühle geht – laut, poetisch, sexy.
Sara Gmuer wurde 1980 in Locarno geboren. Ihre Kindheit verbrachte sie in der italienischen Schweiz, ihre Jugend in Luzern. Als sie 1995 'La Haine' im Kino sah, verliebte sie sich in den Hauptdarsteller Vincent Cassel. Die Schwärmerei hielt nur einen Sommer, das Lebensgefühl des Films blieb. Mit siebzehn brach sie die Schule ab und reiste durch die Welt. 2002 beendete sie in Zürich die Schauspielschule. Sara Gmuer lebt in Berlin.
Leseprobe aus KARIZMA von Sara Gmuer: Ich rauchte und wartete. Rauchte auf dem Fensterbrett, am Tisch und im Bett, ich rauchte da, wo andere reden, essen und Sex haben. Essen sollte ich nicht, zum Reden hatte ich niemanden und für Sex auch nicht. Den Kummer hätte ich vielleicht wegsaufen können, die Kopfschmerzen nicht. Was soll's, da wo ich herkomme, kannte man eh keine Probleme, und wenn's doch mal welche gab, dann wandte man sich an Gott, und wenn der nicht half, ging man zu Bernardo Provenzano. Mir half keiner von beiden. Bis dahin dachte ich immer, die Hoffnung stirbt zuletzt, bullshit, die Hoffnung verlässt dich wie eine Nutte, sobald es ernst wird, das, was wirklich bis zum bitteren Ende bleibt, ist die Wut. Und von der blieb eine ganze Menge. Ich wäre vor Hass am liebsten gestorben. Eigentlich wollte ich mehr als nur tot sein, denn tot sein, hieße gelebt zu haben, und das wollte ich auch nicht. Ich wollte nie dagewesen sein, weder hier, noch sonst irgendwo und schon gar nicht in dieser trostlosen Stadt Immergrau, wo es jeden Tag regnete, als weine auch der Himmel, weil ich hier bin. *** Während wir auf den Prozess warteten, ging ich oft in Saids und Cihads Wohnung, putzte, bezahlte die Rechnungen, räumte auf und schaute der vertrockneten Palme beim Sterben zu. Machte mir viele Gedanken über den Tod, wenige über mein Leben. Ich wollte zu Said. Nicht zu wissen, wo er war, machte mich verrückt. Ich misstraute allen und verdächtigte jeden, auch wenn ich eigentlich wusste, dass nur die Natur jemanden so perfekt verschwinden lassen konnte. Oder die Mafia. Aber sogar bei der Mafia gab es meistens ein paar Schüsse in den Kopf, kaputte Autos oder wenigstens ein bisschen Blut. Cihad kriegte sechs Jahre. Nichts mit: paar Monate rein und dann über die harte Zeit rappen. Ich hätte schreien können. Warum ging es immer gleich um so viel? Warum konnte sich unser Leben nicht einfach mal um Kaffee und Zigaretten drehen? Ich saß nur noch in Saids Zimmer rum und starrte die Wände an. Drei von vier waren zu Regalen umgebaut, bis oben hin mit Platten vollgestopft, wie in einem Laden. Auch am Boden standen überall Kisten rum, eine Tonne Vinyl, zehntausend Platten oder so, auf dreißig Quadratmetern. Als mir das Starren zu anstrengend wurde, kroch ich unter das Bett und holte alles raus, was dort noch rumlag. Plattenspieler, technisches Zeug und ein Dutzend braunorangefarbener NikeSchachteln. Die Kartons waren zu leicht für Schuhe und zu schwer, um leer zu sein, ich dachte an Drogen und fand Papier. Unzählige zerknitterte Zettel. Alles vollgekritzelt, einzelne Zeilen, ganze Songs und Worte, die sich verirrt hatten. Da war er, mit seinen Gedanken, seinem Können und seiner Liebe, versteckt in einer fast unleserlichen Schrift. Ich las nichts. Ich streichelte nur das Papier und passte auf, dass meine Tränen nichts verschmierten. Meine Liebe zu ihm war kein bisschen verblasst. Ich spürte seine Wimpern an meinem Gesicht, seinen Atem an meinem Hals und sein Leben und seine Wünsche in meinen Händen. Die Sehnsucht zerriss mich fast, bis ich endlich einschlief, eingekuschelt in Papier, unter einer Decke gestrickt aus Worten. Am nächsten Tag holte ich meinen Rechner von zuhause und fing an, Ordnung in seine Schuhschachteln zu bringen. Ich tippte alle seine Texte ab und sortierte sie nach Themen, saß jeden Tag in seinem Zimmer rum und lebte seine Emotionen nach. *** Ich tippte, hackte Zeile um Zeile in die Tasten und schaute dabei immer weniger auf Saids Notizen. Irgendwann schaute ich gar nicht mehr drauf, ich brauchte sie nicht mehr, ich wusste, was ich zu schreiben hatte, ich wusste es einfach. Der Rap war in mir. Ich schrieb und schrieb, und beim Durchlesen rappte ich es leise vor mich hin. Ich dachte, ich spinn, mehr dachte ich nicht. Holte eine Platte mit der BSeite voller Instrumentals aus dem Regal und wiederholte das Ganze. Ich konnt's nicht glauben, nickte wie ein Idiot, spürte die Musik, und meine Stimme wur