Versuch über das verstolperte Leben (gebundenes Buch)

ISBN/EAN: 9783887479015
Sprache: Deutsch
Umfang: 304
Einband: gebundenes Buch
Vom Schaffen und Scheitern eines Impresarios, der einst hoffnungsvoll auszog, Theater zu machen und dabei mehr als einmal ins Straucheln geriet. Also erfand er auf seine alten Tage hin ein zweites Standbein namens EINSTEIN. Ein Erfolg als persönliches Drama. Mit der Krise kam das Schreiben: Versuch über das verstolperte Leben. Sechs Jahre Nachdenken und Schreiben – und der Aufwand stellte sich als Ertrag heraus.

»Als ich ihn gefragt habe, wo er denn die Ursache dafür sehe, warum ich mir gegen meinen Willen immer und immer wieder selbst das Bein stelle, meinte er: ›Lukas, ich spazier’ mit Ihnen jederzeit einmal um den Genfersee, damit wir darüber reden können, aber herausfinden müssen Sie es selber.‹«
Seien wir ehrlich: Leben ist immer lebensgefährlich. Erich Kästner Was ist passiert? Am 17. April 2011 wurde ich liquidiert. Brave Bürgersleut, die ich zuvor in mein Projekt geholt hatte, fanden es vorteilhaft, mich an diesem strahlend schönen Sonntagnachmittag vor die Tür zu setzen. Ich stand ihnen vor der Sonne. Ein halbes Leben eher schlecht als recht in der >Kultur< schaffend, sehnte ich mich nach einer Existenzgrundlage, die mir ein zuverlässigeres Einkommen und damit eine gewisse Gemütsruhe verschaffen sollte. Über zwei Jahre dieses Ziel vor Augen, hatte ich aus einer lange unvermieteten Spelunke, allen Widrigkeiten zum Trotz, und unter aufreibendem Dauereinsatz, eine außergewöhnliche Lokalität fabriziert, die seither zu den bestbesuchten >In-Plätzen< der Stadt Bern gehört. Man findet sie im Einstein-Haus. Ich taufte den Laden auf den Namen 'EINSTEIN Kaffee & Rauchsalon'. Wenige Tage nach der Eröffnung hatte ich da nichts mehr zu suchen. Unmittelbar nach der höchst unfreundlichen Übernahme war klar: Das Einstein-Projekt konnte zum Anlass meiner Selbstzerstörung werden. Man hatte mich kurzerhand um meine Zukunft gebracht. Nachdem ich - dem Rausschmiss-Tribunal der drei Kleinanleger gnadenlos ausgeliefert - erschöpft, unter größtem psychischem Druck und damit komplett unzurechnungsfähig, die Urkunde meiner Entsorgung entgegengenommen hatte, bin ich mir augenblicklich abhanden gekommen. Aus mir selbst herausgefallen. Lukas Leuenberger außer Betrieb. Ende. Finito. Zero. Ein Jahr lang habe ich, von Ohnmacht gelähmt und blind vor Wut, versucht, Gerechtigkeit herzustellen. Auf verlorenem Posten, wie sich bald zeigen sollte. Profiteure halten zusammen. Im Jahr zwei nach dem 17. April 2011 herrschte dann nur noch Agonie. Kaum in der Lage, die täglichen Dinge zu erledigen, verbrachte ich die wertlos gewordene Zeit im Bett oder alkoholisiert im Sexkino. Die Schockstarre wurde nur unterbrochen von mehrmals täglich und nächtlich auftretenden unkontrollierbaren auto-aggressiven Wutausbrüchen. Noch heute könnte ich mich jedes Mal unnarkotisiert kastrieren, wenn die Erkenntnis mich fertigmacht, dass ich es selber war, der mir diese Kuckuckseier ins Nest gelegt hatte. Einmal mehr bin ich grandios gescheitert. Dieses Mal aber gibt es keine Ausreden mehr. Hier ging es nicht um eine schwer kalkulierbare Riesen-Freilichtproduktion mit Wetterrisiko, nicht um Millionenbudgets, die aus dem Ruder laufen können. Nein, diesmal war alles bis ins Detail geregelt. Die Voraussetzungen waren bestens. Das Einstein wurde denn auch wie geplant zur Erfolgsgeschichte - nur nicht für mich, sondern für jene, die mit ihrem Mini-Einsatz das Maxi-Los zogen. Leben kann scheitern - Leben kann auch eitern. Wo ist mit mir wann was passiert, dass mir das permanent passiert? Die Einstein-Katastrophe ist für mich zum Schlüsselerlebnis geworden, zur Quintessenz des Scheiterns. Wie finde ich aus diesem Dauer-Flashback wieder heraus? Bis heute gänzlich außerstande, über mögliche neue Perspektiven auch nur nachzudenken, muss ich das Einstein-Trauma dazu nutzen herauszufinden, warum mein Leben so gründlich misslungen ist, warum ich meine Arbeit oder meine Ideen immer wieder verpfuscht habe. Ich muss meine Restenergie dafür mobilisieren, diesem Zustand etwas entgegenzusetzen. Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schreiben. Kein Wittgenstein, aber möglicherweise ein Notausgang. Denkbar, dass ich auch dabei scheitern werde. Beim Schreiben ist man allerdings allein, und der allfällige Super-Gau beschränkt sich auf ein paar schlechte Seiten Text. Das wäre immerhin ein Fortschritt. Mai 2013 Was ist dann noch passiert. Nachwort zur Neuauflage Frühjahr 2021 - und mein Versuch über das verstolperte Leben kann in Neuauflage erscheinen. Wie schön ist denn das! Das Schönste dabei ist das: Ich habe großzügig gestrichen, was sich für mich unterdessen erledigt hatte. Im November 2019, als ich das erste Buchexemplar in Händen hielt, w
5 Was ist passiert?
7 Gelernt ist gelernt
16 Einfach nur raus aus dem Pfarrhaus!
20 Royal Fireworks
32 Wo führt das hin?
40 Zurück auf Feld Eins. Aber bitte noch nicht gleich
62 Verschuldet schuldig
66 Fluchtversuch im Hamsterrad
70 Ein zweites Leben in fünf Versuchen
150 Final Destination
156 Do it yourself!
163 Jeder handelt, so gut er kann oder Survival of the fiesest
189 Oder habe ich womöglich alles richtig gemacht?
197 Was nun, Herr Leuenberger?
204 Vis-à-vis
207 Zu guter Letzt die Wahrheit
208 Will diese Geschichte denn kein Ende nehmen?
Ein Epilog aus aktuellem Anlass
212 Supplement: Alles auf Anfang. Zum letzten Stand der Dinge
223 Postskriptum aus dem Paradies. Unumgängliche Abschweifungen

297 Was ist dann noch passiert … Nachwort zur Neuauflage
301 Literaturverzeichnis