Die Wundertäter (Leinen)

Netzwerke der deutschen Wirtschaft 1942 bis 1966
ISBN/EAN: 9783886807659
Sprache: Deutsch
Umfang: 320 S., 20 s/w Illustr., mit Abb.
Einband: Leinen
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"Gründlich recherchiert, glänzend geschrieben, legt Nina Grunenberg eine Studie vor, die auch jeder Nichtökonom versteht, und sie schließt endlich eine letzte große Lücke, die trotz einer Flut zeitgeschichtlicher Untersuchungen bis heute bestand." Züricher Tagesanzeiger "Eine ehrliche und ungeschönte Biographie." Der Tagesspiegel "Flott und klar - kein Wunder, die 70jährige Journalistin gehört zu den profiliertesten Federn der Wochenzeitung ‚Die Zeit'." Deutschlandradio Kultur
Nina Grunenberg, geboren 1936 in Dresden, zählt seit Jahrzehnten zu den bekanntesten und renommiertesten deutschen Journalisten. Seit 1961 gehört sie der Redaktion der 'Zeit' an. Sie veröffentlichte unter anderem die Bücher 'Die Chefs' (1990) und 'Wo die
Wir Deutsche lieben Wunder. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel macht da keine Ausnahme. In ihrem erklärten Bestreben, Deutschland in puncto Wachstum, Beschäftigung und Wohlstand binnen zehn Jahren wieder unter die ersten Drei in Europa zu führen, beruft sie sich gern auf Ludwig Erhards 'soziale Marktwirtschaft'. Die Kernsätze Erhards, so versicherte sie am 25. Januar 2006 auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos, hätten für sie 'nichts, aber auch gar nichts an Aktualität verloren'. Angela Merkel verrät ihren Zuhörern auch den Grund dafür: 'Daraus entstand das, was man in Deutschland das Wirtschaftswunder nennt.' In ihrer ersten Regierungserklärung am 30. November 2005 hatte die Kanzlerin den Mitgliedern des Deutschen Bundestags eine rhetorische Frage gestellt: 'Warum soll uns das, was uns früher und was uns zu Beginn dieser Bundesrepublik Deutschland, in den ersten Gründerjahren, gelungen ist, heute, in den - wie ich sage - zweiten Gründerjahren, nicht wieder gelingen?' Zweite Gründerjahre also, gar ein neues 'Wirtschaftswunder'? Ludwig Erhard, der 1977 im Alter von achtzig Jahren starb, ist für die Westdeutschen noch dreißig Jahre nach seinem Tod das Symbol ihres fulminanten Wiederaufstiegs nach dem Zweiten Weltkrieg. Mit der unbekümmerten Inanspruchnahme seiner Person durch die gegenwärtige Regierung hätte er jedoch seine Schwierigkeiten gehabt. Allein das Wort 'Wirtschaftswunder' bereitete ihm heftiges Unbehagen. Überhaupt war das Wirken übersinnlicher Mächte seine Sache nie, schon gar nicht in seiner unbestrittenen Domäne, der Wirtschaftswissenschaft. Er hielt sich an Tatsachen, Zahlen und Fakten. 'An Wunder aber vermag ich gerade im Bereich der Wirtschaft nicht zu glauben', hatte der nüchterne Ökonom am 21. Juni 1948 den hungernden Deutschen in einer Rundfunkansprache zugerufen. Danach kündigte er die sofortige Auflösung von bisher geltenden Preisbindungen an, um, wie er sagte, 'dem Wettbewerb und der daraus resultierenden Preissenkung Raum zu geben'. Erhards Appell kam genau zum richtigen Zeitpunkt. Am Vortag hatten die Bewohner der drei Westzonen 'richtiges' Geld erhalten. Erhard ging es vor allem darum, im deutschen Volk das Vertrauen in die neue Währung, die D-Mark, zu wecken und dem Geld wieder seine eigentliche Funktion zurückzugeben. Für jeden Deutschen in den drei Westzonen waren 60 Deutsche Mark 'Kopfgeld' vorgesehen, von dem am 20. Juni 40 DM ausgegeben wurden. Die Betriebe erhielten Mittel, um Löhne und Gehälter auszuzahlen. Die meisten Verbindlichkeiten wurden im Verhältnis 100: 10 umgestellt. Ein Witzbold bei 'News Chronicle' registrierte, daß in 'dieser Woche die stabilste Währung in Europa zerstört wurde': die Währung der Zigarette. Als dann in der letzten Juniwoche 1948 der berühmte 'Schaufenstereffekt' eintrat und sich die armseligen Läden plötzlich mit den erstaunlichsten, lange entbehrten Waren füllten, waren die Deutschen überwältigt. So ist es auch nicht verwunderlich, daß in diesen Tagen die ersten Zeitgenossen begannen, ein 'Wunder' für diesen phänomenalen Wandel verantwortlich zu machen. Oder war es etwa kein Wunder, daß die D-Mark der 'Lucky Strike' ihren Rang als Leitwährung ablief? Selbst die unerschütterlichsten Optimisten konnten im Sommer des Jahres 1948 nicht vorhersehen, daß die skeptisch begrüßte Deutsche Mark binnen einem Jahrzehnt zur härtesten Währung in Europa aufsteigen sollte. Als es dann soweit war, sprach bereits die ganze Welt vom 'deutschen Wirtschaftswunder'. Es war die erste Vokabel, die nach 'Achtung' und 'Blitzkrieg' den Sprung in den Fremdwortschatz der benachbarten Völker schaffte. Der rasante Aufstieg eines zerstörten, von Hitlers Diktatur ruinierten, von der Welt geächteten (und obendrein drastisch verkleinerten) Landes zur führenden Wirtschaftsmacht des Kontinents - wie war er anders zu erklären als durch ein Wunder? Der erste Politiker, der nach 1945 öffentlich über Irrationales spekulierte, war Heinrich Pünder, der dem Wirtschaftsverwaltungsrat der britisch-ame