Das Ende des Vandalismus (gebundenes Buch)

Roman
Verlag:
ISBN/EAN: 9783608937039
Sprache: Deutsch
Umfang: 399 S.
Einband: gebundenes Buch




Drei E ines Samstags kniete Sheriff Dan Norman gerade auf dem Dach seines Wohnmobils und versuchte, eine rostige Stelle abzudichten, durch die es hereinzuregnen drohte, als eine Frau von einer Sekte vorbeikam. Sie hatte goldgelbes Haar, das zu einem dicken Zopf geflochten war. Ihre weiße Bibel hielt sie in beiden Händen wie ein großes Sandwich. 'Lebt Jesus in diesem Haus?', fragte sie. 'Wie bitte?', sagte Dan. Er stand auf. In den Händen hatte er einen Spachtel und eine Dose mit einem orangefarbenen Dichtungsmittel namens 'Mendo', das er im Big Bear gekauft hatte. 'Ist Ihnen klar, dass Jesus in diesem Wohnmobil leben könnte?', sagte die Frau. 'Denn das kann er. Wenn Sie ihn als Ihren ganz persönlichen Retter annehmen, ist er morgen hier.' 'Mir geht es ganz gut mit meinem eigenen Glauben', sagte Dan. 'und was ist das für einer?', fragte die Frau. 'Sagen wir einfach, ich habe einen', sagte Dan, 'und belassen es dabei.' 'Gut, in Ordnung', sagte die Frau. Sie schob sich die Bibel unter den Arm und stieg die Aluminiumleiter herauf, die am Wohnmobil lehnte. Sie trat aufs Dach und hielt Dan die Hand hin. 'Ich heiße Joan Gower', sagte sie. 'Ich bin eigentlich aus Chicago, wohne aber schon seit sieben Jahren hier in der Gegend.' Der Himmel war so tiefblau wie ein See. Joan Gower nahm Dan Norman den Spachtel aus der Hand. Einen Augenblick dachte er, sie wolle ihm helfen, aber das war nur ein ganz kurzer Gedanke, denn sie schleuderte den Spachtel auf die Erde. Sie seufzte. 'Wäre es nicht wie ein Wunder, wenn wir unsere Sünden genauso leicht von uns werfen könnten?', fragte sie. 'Mein Gott, was wäre das für ein Wunder.' Sie blickte traurig auf den Spachtel hinunter, und Dan kam es so vor, als denke sie dabei an ganz bestimmte Sünden an einem ganz bestimmten Tag. 'Schauen Sie sich das an', sagte Dan: Der Spachtel steckte senkrecht im Boden wie ein Straßenschild. Er stieg hinunter, um ihn wieder an sich zu nehmen, aber da klingelte das Telefon, und er ging nach drinnen und ließ Joan Gower auf dem Dach des Wohnmobils stehen. Am Telefon sagte ein Mann zu Dan, er solle doch mal in einen Einkaufswagen des Hy-Vee-Supermarktes schauen. Er sagte nicht, in welchem Hy-Vee. Er sagte nicht, was in dem Einkaufswagen sei. Er sagte, er rufe Dan zu Hause an, damit der Anruf nicht zurückverfolgt werden könne. Auf anonyme Anrufer reagierte Dan normalerweise so ungezwungen wie möglich, um sie zum reden zu bringen, deshalb sagte er jetzt: 'Ach wissen Sie, auch vom Büro aus verfolgen wir grundsätzlich keine Anrufe zurück. Das ist eine schwierige Sache, und die Telefongesellschaft hat es auch nicht gern. Sie tun es natürlich schon, ich will nicht sagen, dass sie es überhaupt nie machen, aber sie tun es eigentlich nicht, wenn sie nicht unbedingt müssen. Manchmal kriegt man ja so einen Rufnummernspeicher, aber dazu braucht man eine Bevollmächtigung, und eine Bevollmächtigung ist auch schwer zu bekommen. Hier in diesem Bezirk jedenfalls, so viel weiß ich. Mir kommt's so vor, als hätten die Richter alle Angst, sie könnten deswegen später mal darüber zu Fall kommen, verstehen Sie?' 'Wiederhören', sagte der Mann. 'Halt, Moment mal', sagte Dan. 'In welchem Hy-Vee?' Aber es war zu spät. Dan legte auf, zog seine Uniformjacke an und ging wieder nach draußen. Joan Gower war vom Dach gestiegen, lehnte an einem Sägebock und rauchte eine Zigarette, die wie ein Schilfstängel aussah. Dan zog die Leiter ein, trug sie in den Schuppen hinter dem Wohnmobil und erklärte der Frau, dass er gehen müsse. 'Kann ich noch einen Bibelvers mit Ihnen lesen?', fragte Joan Gower. 'Na gut, einen', sagte Dan. Sie richtete sich auf, legte die Zigarette auf das Rückgrat des Sägebocks und schlug die Bibel an einer Stelle auf, die mit einem dünnen roten Band gekennzeichnet war. 'Setze mich wie ein Siegel auf dein Herz', las sie, 'und wie ein Siegel auf deinen Arm. Denn Liebe ist stark wie der Tod, und ihr Eifer ist fest wie die Hölle. Ihre Glut ist feurig und eine Flamme des Herrn, dass auch viele Wasser nicht mögen die Liebe auslöschen, noch die Ströme sie ertränken. Wenn einer alles Gut in seinem Hause um die Liebe geben wollte, so gölte es alles nichts.' Joan Gower griff wieder nach ihrer Zigarette und nahm einen Zug. 'Das Hohelied Salomos, 8: Vers 6 und 7', sagte sie. 'Was sagt Ihnen das?' 'Ich weiß nicht', sagte Dan. 'Dass die Liebe mächtig ist vielleicht.' Joan nickte. 'Gut', sagte sie. 'Salomo schlägt sich ständig mit Gedanken über die Liebe herum.' Auf dem Highway schaltete Dan das Blaulicht an, und den Hy-Vee in Chesley erreichte er sehr schnell, entdeckte aber in keinem der Einkaufswagen etwas Ungewöhnliches. In der Abteilung für Milchprodukte sah er Lenore Wells. Sie hatte Antidepressiva genommen, wie immer, und lächelte ihr kleines, einsames Lächeln. Ihr Vater hatte sich im Keller der Bank von Morrisville erhängt, und ihr Bruder saß für fünfzehn Jahre in Anamosa, weil er einen Postlaster gestohlen hatte. Traurige Familie. Lenore erzählte Dan, dass am Morgen zwei Kraniche über ihr Haus geflogen seien, und Dan dachte schon, sie werde anfangen, zu weinen, aber stattdessen schüttelte sie nur den Kopf und griff zu den Käsesticks hinunter. Es gab noch zwei weitere Hy-Vees im Bezirk, einen in Morrisville und einen in Margo. Aus dem in Morrisville wurde einem das Gemüse von Ladenjungen bis ans Auto gebracht, und deshalb standen wie immer etliche Autos am Straßenrand, aber es gab keinen einzigen Einkaufswagen auf dem Parkplatz. Der Laden lag am Ende eines kleinen Einkaufszentrums, und Dan trat durch einen breiten Gang ein, in dem gerade mindestens hundert Mädchen vom Landjugendclub eine etwas verwirrende Veranstaltung zu den Folgen der Bodenerosion durchführten. Auf einem langen, schmalen Tisch hatten sie eine Miniaturlandschaft aufgebaut und mit Sand bedeckt, und jetzt attackierten sie den Sand mit Ventilatoren, Wasserpistolen und sogar mit den bloßen Händen, obwohl die Hände ja keine der Erosionskräfte darstellten, von denen sie gelernt hatten, und damit eigentlich gegen die regeln verstießen. Die Mädchen trugen weiße Overalls mit grünen Schärpen, waren von Kopf bis Fuß mit Sand und Wasser verdreckt, und rund um den Tisch herrschte Chaos, bis auf das eine Ende, wo die älteren Mädchen in aller ruhe den Vorsitz über einen Bereich führten, über dem 'Pflügen entlang der Höhenlinien' stand. Dan war froh, als er den Hy-Vee erreicht hatte, aber als er sich die herumstehenden Einkaufswagen ansah, entdeckte er darin nichts als abgerissene Salatblätter. Er verließ den Hy-Vee von Morrisville und fuhr zu dem in Margo. Dort fand er einen Einkaufswagen mit einem Karton darin. Der Wagen stand in der nordwestlichen Ecke des Parkplatzes neben einem gelben Abfalleimer mit einer Werbung für Goodwill. Dan sah sich den Karton an, der ursprünglich einen Kasten Hamm's Bier enthalten hatte. Der Deckel war zu, so dass eine Lasche die andere überlappte. Dan hörte Weinen. Er hob die Laschen und fand ein Baby, das in ein blaues Flanellhemd gewickelt war. Eine Notiz war daran festgemacht: 'Ich heiße Quinn. Bitte passen Sie auf mich auf.' Das Baby hatte dunkle Augen und dichtes dunkles Haar und gab ein lautes, durchdringendes Geschrei von sich. Dan nahm den Hamm's-Karton und stellte ihn auf den Beifahrersitz des Streifenwagens. Er befestigte den Sicherheitsgurt rings um den Karton, so gut er konnte. Das Baby brüllte kräftig, doch sobald das Auto sich in Bewegung setzte, sah es sich um, machte ein Bäuerchen und schlief ein. Dan startete Richtung Rotkreuz-Krankenhaus in Stone City, doch schon fünf Kilometer hinter Margo bekam er einen Funkruf von Hilfssheriff Ed Aiken. Ein paar Jugendliche befänden sich oben auf dem Wasserturm von Pinville, und Ed könne sie nicht dazu bringen herabzusteigen. 'Versuch's doch mit dem Megafon', sagte Dan. 'Hab ich schon', sagte Ed. 'Sag, du holst ihre Eltern', sagte Dan. 'Hab ich auch schon.' 'Dann wirst du wahrscheinlich zu ihnen hinaufklettern müss...
'Die Zärtlichkeit der Worte, die Drury für seine Figuren findet, hallt weit über die letzte Seite hinaus im Leser nach.' Felicitas von Lovenberg, F.A.Z.