Der Abschiedsstein (E-Book, EPUB)

eBook - Das Geheimnis der Großen Schwerter 2, Das Geheimnis der Großen Schwerter
Verlag:
ISBN/EAN: 9783608101522
Sprache: Deutsch
Umfang: 891 S., 2.78 MB
Format: EPUB
DRM: Digitales Wasserzeichen
»Dieses Werk hat mich inspiriert Game of Thrones zu schreiben es ist eine meiner liebsten Fantasyreihen.«George R. R. Martin über »Das Geheimnis der großen Schwerter«Welche Ziele verfolgen aber die geheimnisvollen Elbenvölker der Nornen und Sithi, denen das Land einst gehörte. Der untote Elbenprinz Ineluki kehrt zurück und die Rache an den Menschen für vor langer Zeit erlittenes Unrecht ist nicht mehr fern.
Tad Williams, geboren 1957 in Kalifornien, ist Bestseller-Autor und für seine epischen Fantasy- und Science-Fiction-Reihen, darunter Otherland, Shadowmarch, und Der letzte König von Osten Ard, bekannt. Seine Bücher, die Genres erschaffen und bisherige Genre-Grenzen gesprengt haben, wurden weltweit mehrere zehn Millionen Male verkauft.
PrologDer Wind strich über die leeren Festungsmauern und heulte wie tausend verdammte Seelen, die um Erbarmen schreien. Der Klang bereitete Bruder Hengfisk trotz der bitteren Kälte, die aus seinen einst so kräftigen Lungen die Luft herausgesogen und ihm die Haut an Gesicht und Händen gegerbt und abgeschält hatte, ein grimmiges Vergnügen. Ja, so werden sie sich alle anhören, alle die Scharen der Sünder, die die Botschaft von Mutter Kirche verhöhnt haben - unter ihnen bedauerlicherweise auch die weniger strikten von Hengfisks hoderundianischen Brüdern. Wie sie aufschreien werden vor Gottes gerechtem Zorn und um Gnade winseln ... dann, wenn es zu spät sein wird, viel zu spät ... An einem von einer Mauer heruntergefallenen, im Weg liegenden Stein stieß er sich schmerzhaft das Knie und stürzte mit einem Quietschlaut aus rissigen Lippen vornüber in den Schnee. Einen Augenblick blieb der Mönch wimmernd sitzen, aber die beißende Pein der auf seiner Wange gefrierenden Tränen zwang ihn wieder in die Höhe. Er hinkte weiter. Die Hauptstraße, die durch Naglimund zur Burg hinaufführte, war voller Schneewehen. Häuser und Läden auf beiden Seiten waren unter einer erstickenden Decke aus tödlichem Weiß fast verschwunden. Selbst die noch nicht ganz zugedeckten Gebäude lagen so ver lassen da wie Gerippe längst verstorbener Tiere. Auf der Straße gab es nur Hengfisk und den Schnee. Als der Wind umschlug, pfiff er noch etwas schriller durch die Scharten der Zinnen oben auf dem Hügel. Der Mönch spähte mit zusammengekniffenen Augen zu den Wällen hinauf und senkte dann den Kopf. Durch den grauen Nachmittag stapfte er weiter, und das Knirschen seiner Schritte glich einem fast lautlosen Trommelschlag, der das Pfeifen des Windes begleitete. Kein Wunder, dass das Volk aus der Stadt in die Burg geflohen ist, dachte er bibbernd. Ringsum gähnten schwarze Löcher in den unter der Schneelast eingestürzten Dächern und Mauern wie die offenen Münder von Schwachsinnigen. In der Burg, unter dem Schutz von Stein und dicken Balken, mussten sie sich sicherer fühlen. Feuer würden brennen, und rote, vergnügte Gesichter - Gesichter von Sündern, erinnerte er sich voller Verachtung, verdammte, unbekümmerte Sündergesichter - würden sich um ihn scharen und staunen, dass er den Weg durch diesen unnatürlichen Sturm gefunden hatte. Es war doch schließlich Yuven-Mond, oder nicht? Hatte sein Gedächtnis so gelitten, dass er sich nicht mehr an den Monat erinnern konnte? Aber natürlich war es Yuven. Zwei volle Monate zuvor war der Frühling gekommen - ein wenig kalt vielleicht, aber das machte einem Rimmersmann wie Hengfisk, aufgewachsen in der Kälte des Nordens, nichts weiter aus. Nein, das Widersinnige war eben, dass es jetzt so kalt war, dass das Wasser fror und der Schnee durch die Luft wirbelte - jetzt im Yuven, dem ersten Sommermonat. Hatte sich nicht Bruder Langrian geweigert, das Kloster zu verlassen, und das nach allem, was Hengfisk getan hatte, um ihn wieder gesund zu pflegen? »Es ist mehr als nur übles Wetter, Bruder«, hatte Langrian gesagt. »Es liegt ein Fluch auf Gottes gesamter Schöpfung. Es ist der Tag, an dem Gut und Böse gegeneinander aufgewogen werden, und er kommt zu unseren Lebzeiten.« Nun, wenn das Langrians Meinung war ... wenn er in den verbrannten Ruinen der Abtei von Sankt Hoderund bleiben und sich von den Beeren und Früchten des Waldes ernähren wollte - und was würde denn noch wachsen in dieser für die Jahreszeit so unangemessenen Kälte -, dann sollte er seinen Willen haben. Bruder Hengfisk war kein Narr. Naglimund war der Ort, an den man sich jetzt begeben musste. Der alte Bischof Anodis würde Hengfisk willkommen heißen. Der Bischof würde den klugen Blick des Mönches bewundern und alles hören wollen, was er, Hengfisk, über die Vorkommnisse im Kloster und das sonderbare Wetter zu erzählen hatte. Die Naglimunder würden ihn freundlich aufnehmen, ihn speisen, ihm Fragen stellen, ihn an ihrem warmen Feuer sitzen lassen ... Aber von der Kälte müssen sie ja schon wissen , dachte Hengfisk stumpf und zog die eisstarrende Kutte enger um sich. Er befand sich jetzt unmittelbar unterhalb der Mauern. Die weiße Welt, die ihn seit so vielen Tagen und Wochen umgab, schien hier zu Ende zu sein wie ein Abgrund, der in ein steiniges Nichts führte. Das heißt, sie müssen über den Schnee und alles andere Bescheid wissen. Darum haben sie auch alle die Stadt verlassen und sind in die Burg gezogen. Es ist dieses elende, dämonenverfluchte Wetter, das die Posten von den Wällen getrieben hat. Oder nicht? Er blieb stehen und musterte mit irrem Interesse den schneebedeckten Haufen Unrat, der das größte von Naglimunds Toren gewesen war. Die langen Säulen und massiven Steine unter den Schneewehen waren schwarz verkohlt. Das Loch in der eingestürzten Mauer stand weit auf, sodass zwanzig nebeneinanderstehenden Hengfisks, Schulter an knochiger, zitternder Schulter, auf einmal Einlass gewährt werden könnte. Schaut doch, wie sie alles verkommen ließen! Oh, wie werden sie kreischen, wenn man das Urteil über sie fällt, schreien und kreischen, ohne auch nur eine einzige ihrer Taten wiedergutmachen zu können. Alles haben sie verkommen lassen - das Tor, die Stadt, das Wetter. Ausgepeitscht sollten sie werden für solche Nachlässigkeit. Zweifellos hatte Bischof Anodis alle Hände voll zu tun, eine so widerspenstige Herde in Zucht zu halten. Hengfisk würde nur zu glücklich sein, dem ehrwürdigen alten Mann dabei zu helfen, sich um diese Faulpelze zu kümmern. Aber zuerst ein Feuer und etwas Warmes im Leib. Und dann ein wenig Klosterdisziplin. Man würde das bald alles wieder in Ordnung bringen ... Vorsichtig setzte Hengfisk die Füße zwischen die zersplitterten Pfosten und weißverschneiten Steine. Eigentlich, fand der Mönch nach einer Weile, war es in gewisser Weise sogar ... schön. Hinter dem Tor war alles mit einem zarten Netz aus Eis bedeckt, wie ein Schleier aus Spinnweben. Die sinkende Sonne schmückte die bereiften Türme und eisüberkrusteten Mauern mit Rinnsalen bleichen Feuers. Hier, inmitten der Festungsmauern, erklang das Schreien des Windes ein wenig leiser. lange blieb Hengfisk stehen, betroffen von der unerwarteten Stille. Als die matte Sonne hinter die Wälle glitt, färbte sich das Eis dunkler. Aus den Ecken des Hofs quollen tiefe, violette Schatten und zogen sich quer über die zerstörten Türme. Der Wind fauchte nur noch sanft wie eine Katze, und der Mönch senkte den Kopf. Er begriff. Verlassen. Naglimund war leer, keine Menschenseele war übriggeblieben, um einen vom Schnee verwirrten Wanderer zu begrüßen. Meilenweit war er durch die sturmgepeitschte weiße Öde gelaufen, nur um einen Ort zu finden, der tot und stumm war wie Stein. Aber, fragte er sich plötzlich, wenn das stimmt ... was sind das dann für blaue Lichter, die in den Turmfenstern flackern? Und was waren das für Gestalten, die über den verwüsteten Hof auf ihn zukamen und so anmutig über die vereisten Steine glitten wie schwebender Distelflaum? Sein Herz raste. Als er ihre schönen, kalten Gesichter und das fahle Haar sah, hielt Hengfisk sie zuerst für Engel. Dann bemerkte er das böse Glitzern in den schwarzen Augen und ihr Lächeln, und er drehte sich stolpernd um und versuchte zu fliehen. Die Nornen fingen ihn ohne Mühe und schleppten ihn in die Tiefen der verlassenen Burg, hinab unter die schattendunklen, eisumhüllten Türme mit ihren unablässig flackernden Lichtern. Und als die neuen Herren von Naglimund ihm mit ihren melodischen, flüsterleisen Stimmen Worte ins Ohr wisperten, übertönten Hengfisks Schreie für eine Weile sogar das Heulen des Windes. Erster Teil: Sturmauge 1 Die Musik der Höhen Sogar im Inneren der Höhle, wo das knisternde Feuer graue Rauchfinger nach dem Loch in der Steindecke ausstreckte und wo rotes Licht auf den in die Wand gemeißelten, sich ringelnden Schlangen und starr vor sich hin blickenden Stoßzahntieren spielte, nagte die Kälte an Simons Knochen. Während er sich zwischen Nacht und verhangenem Tageslicht durch einen fiebernden, unruhigen Schlaf quälte, war ihm, als wachse in ihm graues Eis, das seine Glieder erstarren ließ und ihn mit Frost anfüllte. Er fragte sich, ob ihm wohl je wieder warm werden würde. Auf der Flucht vor der kalten Yiqanuc-Höhle und seinem kranken Körper wanderte er auf der Straße der Träume, hilflos von einer Fantasie in die nächste gleitend. Oft war es ihm, als sei er auf den Hochhorst zurückgekehrt, die Burg, die einmal seine Heimat gewesen war und es nie wieder sein würde - ein Ort sonnenwarmer Rasenflächen, schattiger Winkel und Verstecke -, das größte Haus, das es gab, voller leben und Farbe und Musik. Noch einmal schlenderte er durch den Heckengarten, und der Wind, der vor der Höhle sang, in der Simon schlief, sang auch in seinen Träumen, blies sacht durch das Laub und zupfte an den zierlichen Hecken. Einer seiner wunderlichen Träume schien ihn in Doktor Morgenes' Wohnung zurückzuführen. Die Studierstube des Doktors befand sich jetzt ganz oben in einem hohen Turm. An den hohen Fensterbögen schwammen Wolken vorüber. Der alte Mann beugte sich verdrossen über ein großes, offenes Buch. Es lag etwas Furchterregendes in der Zielstrebigkeit und Schweigsamkeit des Meisters. Simon schien für Morgenes gar nicht vorhanden zu sein; gebannt starrte der alte Mann auf die unbeholfene Zeichnung dreier Schwerter, die sich über beide aufgeschlagenen Seiten zog. Simon trat ans Fenstersims. Der Wind seufzte, obwohl keine Brise spürbar war. Simon schaute in den Hof. Von unten blickte mit großen ernsten Augen ein Kind zu ihm auf, ein kleines dunkelhaariges Mädchen. Es hob wie grüßend die Hand und war plötzlich verschwunden. Der Turm und Morgenes' vollgestopftes Zimmer zerschmolzen unter Simons Füßen wie Ebbe, die ins Meer zurückströmt. Zuletzt verschwand der alte Mann selber. Doch auch während er langsam verblasste wie ein Schatten bei wachsendem Licht, sah Morgenes Simon nicht in die Augen; stattdessen strichen seine knotigen Hände emsig über die Seiten des Buchs, als suchten sie rastlos nach Antworten. Simon rief seinen Namen, aber die ganze Welt war auf einmal grau und kalt, voll von wirbelnden Nebeln und Fetzen anderer Träume ... Er erwachte, wie es seit den Ereignissen auf dem Urmsheim schon so viele Male der Fall gewesen war, in einer nachtdunklen Höhle und sah Haestan und Jiriki auf ihren lagern an der mit Runen bekritzelten Steinwand liegen. Der Erkynländer hatte sich schlafend in seinen Mantel gerollt, den Bart auf dem Brustbein. Der Sitha starrte auf etwas, das er in der langfingrigen hohlen Hand hielt. Jiriki schien völlig darin vertieft zu sein. Seine Augen glänzten schwach, als spiegele sich in dem, was er da hielt, die letzte Glut des Feuers. Simon wollte etwas sagen - er war hungrig nach Wärme und Stimmen -, aber schon wieder zupfte der Schlaf an ihm. Der Wind ist so laut ... Klagend fuhr er durch die Bergpässe, als seien es die Turmspitzen des Hochhorstes ... die Zinnen von Naglimund ... So traurig ... der Wind ist traurig... Bald war Simon wieder eingeschlafen. Die Höhle war still bis auf ein leises Atmen und die einsame Musik der Höhen. Es war nur ein Loch, aber als Gefängnis vollkommen ausreichend. Zwanzig Ellen tief grub es sich in das steinerne Herz des Mintahoq-Berges, so breit wie zwei Männer oder vier Trolle, die Kopf an Fuß liegen. Die Wände waren glattpoliert wie der feinste Marmor eines Bildhauers, sodass selbst eine Spinne große Mühe gehabt hätte, an ihnen Halt zu finden. Der Boden war so dunkel, kalt und feucht wie in allen anderen Verliesen. Obwohl der Mond die verschneiten Spitzen der Berge streifte, erreichte die Tiefe der Grube nur ein dünner Mondstrahl; er berührte, ohne sie zu beleuchten, zwei reglose Gestalten. Schon lange, seitdem der Mond aufgegangen war, hatte sich an diesem Bild nichts geändert: Die bleiche Mondscheibe - Sedda, wie die Trolle sie nannten - blieb das einzig Bewegte in dieser nächtlichen Welt; langsam durchwanderte sie die schwarzen Felder des Himmels. Jetzt bewegte sich etwas am Rand der Grube. Eine kleine Gestalt beugte sich hinab und spähte in die dichten Schatten. »Binabik ...«, rief die hockende Gestalt in der kehligen Sprache des Trollvolks, »Binabik, hörst du mich?« Falls einer der Schatten am Boden sich bewegte, geschah es lautlos. Schließlich begann die Gestalt am Rand des steinernen Brunnens von neuem zu sprechen. »Neun mal neun Tage, Binabik, stand dein Speer vor meiner Höhle, und ich wartete auf dich.« Die Worte wurden intoniert wie ein Ritual, aber die Stimme schwankte unsicher und stockte einen Augenblick, bevor sie fortfuhr: »Ich wartete und rief deinen Namen am Ort des Echos. Nichts scholl zurück außer meiner eigenen Stimme. Warum erschienst du nicht, um deinen Speer wieder zu holen?« Noch immer kam keine Antwort. »Binabik? Warum erwiderst du nichts? Das wenigstens bist du mir schuldig, ist es nicht so?« Der größere der beiden Gefangenen am Boden der Grube rührte sich. Ein dünner Strahl Mondglanz fiel auf blassblaue Augen. »Was soll das Trollgewinsel? Schlimm genug, dass ihr einen Mann, der euch nie etwas Böses getan hat, in dieses Loch werft, aber müsst ihr ihn auch noch mit euerem unsinnigen Geschwätz belästigen, wenn er zu schlafen versucht?« Die Gestalt am Rand der Grube erstarrte für einen kurzen Moment wie ein erschrockenes Reh im Schein grellen Laternenlichts und verschwand dann in der Nacht. »Gut.« Sludig, der Rimmersmann, wickelte sich wieder in seinen feuchten Mantel. »Ich weiß nicht, was der Troll da zu dir gesagt hat, Binabik, aber ich halte nicht viel von deinem Volk, wenn sie zu dir kommen und dich verspotten - und mich auch, obwohl es mich nicht wundert, dass sie mein Volk hassen.« Der Troll neben ihm schwieg und starrte den Rimmersmann nur aus dunklen, traurigen Augen an. Nach einer Weile drehte sich Sludig wieder um, zitternd vor Kälte, und versuchte zu schlafen. [...]
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