Kontinuitäten, Zäsuren, Brüche? (Paperback)

Lebenslagen von Menschen mit Behinderungen in der deutschen Zeitgeschichte, Disability History 1
ISBN/EAN: 9783593505206
Sprache: Deutsch
Umfang: 290 S.
Einband: Paperback

Disability History

Herausgegeben von Gabriele Lingelbach, Elsbeth Bösl und Maren Möhring



Welche Ereignisse der deutschen Geschichte nach 1945 können als Momente des Wandels im gesellschaftlichen Umgang mit dem Phänomen »Behinderung« betrachtet werden? War das Kriegsende 1945 tatsächlich eine Zäsur? Oder sollten andere Geschehnisse, etwa der »Contergan-Skandal« in den 1960er Jahren, als Wendepunkte angesehen werden? Im interdisziplinären Dialog fragen die Autorinnen und Autoren danach, welche Phasen der Kontinuitäten und der Brüche sich für die Lebenslagen von Menschen mit Behinderungen in Deutschland identifizieren lassen. So entsteht erstmals ein Überblick über die Geschichte von Menschen mit Behinderungen in beiden deutschen Staaten seit 1945.

Gabriele Lingelbach ist Professorin für die Geschichte der Neuzeit an der Universität Kiel.

Anne Waldschmidt ist Professorin für Soziologie und Politik der Rehabilitation, Disability Studies an der Universität Köln.
Einleitung: Kontinuitäten, Zäsuren, Brüche in der deutschen Disability History nach 1945 Gabriele Lingelbach und Anne Waldschmidt Disability History, die Erforschung der Geschichte von >BehinderungHomo debilis< oder auch durch die eher zeitgeschichtlich orien-tierte Reihe >Disability History< des Campus Verlags, für welche der vorliegende Sammelband den Auftakt darstellt. Disability History - eine Definition Was aber ist Disability History? Zunächst einmal begreifen Disability Historians >Behinderung< nicht als natürliche Gegebenheit, sondernals eine naturalisierte Differenzkategorie, analog etwa zu Geschlecht/Gender oder Ethnizität/Race. In diesem Sinne handelt es sich bei Beeinträchtigungen wie Down-Syndrom, Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom, Querschnittslähmung, Blindheit etc. nicht um einfache >Tatsachendie Behinderten< als vermeintlich homogene soziale Gruppe konstruiert wurden, wer aus welchen Gründen als >behindert< galt, und wie frühere Gesellschaften mit Diversität, Anderssein und Abweichung umgingen, wie also die Wechselverhältnisse von Inklusion und Exklusion jeweils gestaltet waren. Mit dieser Perspektivierung distanziert sich die neuere Forschung deutlich von der traditionellen, dem Rehabilitationsansatz verhafteten Geschichte der Behinderung, die in essentialistischer Sicht davon ausgeht, dass es die Dichotomie >behindert/nicht behindert< tatsächlich gibt; die Befunde und Diagnosen voraussetzt, anstatt sie zu hinterfragen; die lediglich davon zu berichten weiß, wie Gesellschaften mit behinderten und chronisch kranken Menschen umgehen, anstatt Gesellschaft und Kultur als konstitutiv für die Behinderungskategorie zu verstehen. Entsprechende geschichtswissenschaftliche Studien haben sich lange Zeit von dem sogenannten individuellen oder auch medizinischen Modell leiten lassen, welches die Ursachen für Behinderung im Individuum verortet und letztere als Defizit bzw. zu verhütende oder zu behebende, jedenfalls zu lindernde Normabweichung definiert. Erst seit den 1970er Jahren hat sich, ausgehend von den zuerst in den angelsächsisch

Inhalt


Einleitung: Kontinuitäten, Zäsuren, Brüche in der deutschen Disability History nach 1945 7

Gabriele Lingelbach und Anne Waldschmidt


Zäsuren, Phasen, Kontinuitäten - Zur chronologischen (Un-)Ordnung der deutschen Nachkriegsgeschichte 28

Ralph Jessen


Lebenslagen, Aufmerksamkeitszyklen und Periodisierungsprobleme der bundesdeutschen Behindertenpolitik bis zur Wiedervereinigung 54

Wilfried Rudloff


Bundesdeutsche Behindertenpolitik im "Jahrzehnt der Rehabilitation" - Umbrüche und Kontinuitäten um 1970 82

Elsbeth Bösl


Inklusion als bildungspolitisches Paradigma - Verhandlungen über Wissen, Macht und Zugehörigkeit in der Bundesrepublik Deutschland, 1964-1994 116

Anne Klein


Der Contergan-Fall als Zäsur in den 1960er Jahren? Eine mediengeschichtliche Analyse 142

Anne Helen Günther


Janusköpfige Liberalisierung - Zur Rolle der Eltern geistig behinderter Kinder in der humangenetischen Beratung der 1960er bis 1980er Jahre 166

Britta-Marie Schenk


Der ›geschädigte‹ Mensch in der Rehabilitationspädagogik der DDR - Entfaltung und Wirkung eines sozialistischen Modells von Behinderung 191

Sebastian Barsch


Neue Soziale Bewegungen von Menschen mit Behinderungen - Behinderten- und Krüppelbewegung in den 1970er und 1980er Jahren 214

Jan Stoll


›Besondere Körper‹ - Geschlecht und Körper im Diskurs der westdeutschen Behindertenbewegung der 1980er und 1990er
Jahre 239

Swantje Köbsell


Funktionswandel des westdeutschen Behindertensports zwischen therapeutischer Heilmaßnahme und selbstbestimmtem Freizeitverhalten (1945-1990) 262

Sebastian Schlund


Autorinnen und Autoren 289