Staat und Migration (Paperback)

Zur Steuerbarkeit von Zuwanderung und Integration
Verlag:
ISBN/EAN: 9783593388885
Sprache: Deutsch
Umfang: 417 S.
Einband: Paperback
Anders als klassische Einwanderungsländer steuerte die Bundesrepublik die Zuwanderung nicht nach Kriterien der Qualifikation. Dies führte zur Konzentration ethnischer Gruppen in Großstädten, meist in Stadtteilen mit hoher Armutsquote. Stefan Luft sieht darin die Hauptursache für die unzureichende Integration der Migranten sowie deren mangelnden Spracherwerb. Am Beispiel der türkischen Zuwanderung zeigt er, dass die Politik lange die Bewahrung von Herkunftsidentitäten in den Vordergrund stellte, heute jedoch zunehmend Integrations- und Anpassungsleistungen fordert. Er plädiert für einen migrationspolitischen Realismus – jenseits von Skandalisierung und Multikulturalismus.
Stefan Luft lehrt als Privatdozent mit den Schwerpunkten Regierungslehre und Politikfeldanalyse an der Universität Bremen.
Zur Debatte um "Parallelgesellschaften" Bereits 1988 wies Jürgen Fijalkowski darauf hin, dass die neuen Zuwanderergruppen in der Bundesrepublik Ansätze zur Bildung von "Gesellschaften in der Gesellschaft" zeigten (1988: 40). Hierbei vollziehe sich ein Prozess zunehmender Verfestigung: "Zwischen der Existenz als bloßer Kategorie von Trägern eines gemeinsamen Merkmals ohne soziale Relevanz und dem Extremtyp einer ausdifferenzierten >Gesellschaft in der Gesellschaft< gibt es zahllose Übergangsformen. Aber die tatsächlich beobachtbaren Etablierungsformen ethnischer Minoritäten sind auf einer solchen Skala unterschiedlicher Vervollständigungsgrade ethnospezifischer Sonderexistenz zu verorten" (1988: 41). In jüngerer Zeit ist immer wieder die Rede davon gewesen, in deutschen Großstädten hätten sich ethnisch strukturierte "Parallelgesellschaften" herausgebildet. Gegen den Gebrauch dieses Begriffs ist heftig polemisiert worden: Er sei ein "verheerender Kampfbegriff", ein "Kulturkampf-Ideologem", eine "Legende" (Gaitanides 2001: 16), "nicht nur falsch [.] sondern als Argumentationsmuster im politischen Diskurs sogar gefährlich". Inhaltlich wurde kritisiert, dass er sich gegen die "multikulturelle Gesellschaft" richte (Butterwegge 2006: 200), Muslime diskriminiere, die legitime Vielfalt städtischen Lebens ignoriere (Gestring 2005). Diese Kritik ist nur insoweit berechtigt, als sie sich auf den Begriff der Parallelgesellschaft bezieht, wie er im journalistischen oder im politisch-alltäglichen Diskurs als Schlagwort zur Etikettierung fremdethnischer Wohnkonzentrationen verwendet wird. Zur Analyse der Prozesse in ethnischen Kolonien trägt diese Kritik allerdings nichts bei. Thomas Meyer vertritt die, seiner Meinung nach empirisch begründete Auffassung, "dass sich hierzulande in einer Reihe ethnisch-verdichteter Wohngebiete kollektive Wohnformen entwickeln, die die begrifflichen Merkmale der Parallelgesellschaft weitgehend erfüllen" (Meyer 2002: 212). Im Jahr 2002 hat er einen Kriterienkatalog vorgeschlagen, der erfüllt sein müsse, um von einer Parallelgesellschaft sprechen zu können. Soziale Kollektive müssten demnach folgende Merkmale haben (ebd.: 210): sozial homogen oder heterogen ethnokulturell bzw. kulturellreligiös homogen nahezu vollständige lebensweltliche und zivilgesellschaftliche Segregation sowie weitgehende Möglichkeiten der ökonomischen Segregation nahezu komplette Verdoppelung der mehrheitsgesellschaftlichen Institutionen formal freiwillige Form der Segregation siedlungsräumliche oder nur sozialinteraktive Segregation, sofern die anderen Merkmale alle erfüllt sind Es ist zurecht bemerkt worden, dass hier "die Latte sehr hoch gelegt" worden ist (Halm/Sauer 2006: 19). Es gibt ein einheitliches Zivil- und Strafrecht in Deutschland, dagegen keine an ethnischen noch an kulturellen Linien entlang orientierte Parteien oder Gewerkschaften. Allerdings ist festzuhalten, dass innerhalb ethnischer Kolonien (insbesondere in den von Meyer untersuchten "ethnisch abgeschotteten Subkulturen" libanesisch-kurdischer Großclans) der Druck erheblich ist, eigene Normen durchzusetzen, deren Nichtbefolgung abzustrafen, insgesamt Konflikte "unter sich" auszumachen und die deutsche Justiz außen vor zuhalten. Meyer hat seine Kriterien in dieser Hinsicht erläutert: "Von einem eigenständigen Rechtskreis kann faktisch [.] auch dann gesprochen werden, wenn ein erheblicher sozialer oder soziokultureller Druck innerhalb der betreffenden Gemeinschaft besteht, wesentlich staatlich garantierte Grundrechte nicht zu nutzen oder im Streitfall nicht die staatlichen Gerichte, sondern >eigenethnische< bzw. >kulturell-religiöse< Schiedsstellen anzurufen und sich deren Urteil zu unterwerfen. Der Druck, sich hergebrachten Normen der eigenen Gruppe unter Verzicht auf wesentliche verbriefte Rechte der Aufnahmegesellschaft zu unterwerfen und sogar im Falle einer entgegengesetzten eigenen Auffassung auf die Anrufung der staatlichen
Inhalt

Vorwort 7

1. Einführung und Grundlagen 8
2. Die Anwerbung von "Gastarbeitern": "Temporäre Arbeitsmigration" und das Problem der Steuerbarkeit 35
3. Integration und Stadt 99
4. Integration in das Bildungssystem 222
5. Die Debatte um Integration 259
6. Zur Steuerbarkeit von Zuwanderung und Integration 299
7. Schluss: Integrationspolitischer Realismus 355

Literatur 368