Heimweg (gebundenes Buch)

Roman
ISBN/EAN: 9783570009536
Sprache: Deutsch
Umfang: 221 S.
Einband: gebundenes Buch
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'Das, was man schreibt, ist manchmal klüger oder dümmer als man selber - genau wie ein Kind, bei dem die Eltern manchmal staunen, was, das soll von uns abstammen, aber wir verstehen es nicht, es ist anders.' Harald Martenstein Als Joseph aus russischer Kriegsgefangenschaft zurückkommt, ist er trotz Lungendurchschuss topfit verglichen mit dem, was sonst noch aus dem Zug steigt. Dass er von seiner Frau Katharina, der schönen Tänzerin vom Rhein, nicht abgeholt wird, überrascht ihn kaum. Er ist Realist. Aber das Eifersuchtsdrama, in das er hineingerät, verblüfft ihn doch ein wenig. In seinem ersten Roman wirft Harald Martenstein einen ungewöhnlichen Blick auf die Kinderjahre der Republik. Es geht um mörderische Väter und verlorene Mütter, um große Liebe und kleines Glück. Mit unterkühlter Ironie schafft er die Balance zwischen Trauer, Melancholie und Komik. 'Heimweg' ist ein großartiger Roman über die Geister der Vergangenheit und die falschen Versprechungen der Zukunft. Der beliebte Zeit-Kolumnist ('Lebenszeichen') mit seinem ersten Roman.
Die Heimkehr meines Gro?aters aus dem Krieg stand unter keinem guten Stern. Als seine Gruppe am Bahnhof ankam, zwanzig d?nne M?er in grauen Wattejacken, spielte eine Kapelle Walzermelodien und Luftballons hingen an einem Reklameschild f?r Pepsi Cola. Die Wattejacken waren ein Abschiedsgeschenk der Sowjetunion, an ihre langj?igen deutschen G?e. Der stellvertretende B?rgermeister hielt eine Rede und dr?ckte jedem Sp?eimkehrer die Hand, sofern eine solche noch vorhanden war. Die Zeitung w?rde ein Foto mit Bildtext bringen. Die j?ngeren Kinder, gezeugt w?end der letzten Heimaturlaube, hatten Angst vor den verdreckten Gestalten, die aus dem Zug kletterten, und versuchten, sich hinter ihren M?ttern zu verstecken. Die Heimkehrer hatten ihre Stadt im Kopf, wie sie fr?her aussah. Sie sah jetzt aber v?llig anders aus. Ihre Frauen waren ?er als auf dem Foto in der Brieftasche, Gott allein wusste, was sie erlebt hatten. Mein Gro?ater trug einen unter widrigsten Umst?en selbstgebauten Koffer, auf den er stolz war, aus Birkenholz, grau gestrichen, mit einem Griff aus original russischem Lagermaschendraht. Von seiner Russlandreise hatte er au?rdem zwei steife Finger, einen Lungendurchschuss und eine nicht genau zu bestimmende Zahl von Lungenstecksplittern mitgebracht, das hei?, er war geradezu in Topform, verglichen mit einigen anderen armen Teufeln in seinem Eisenbahnwaggon. Er hatte nicht erwartet, dass jemand ihn abholt. Vom Bahnhof lief er langsam nach Hause, schnupperte die feuchte Luft, die an manchen Tagen vom Fluss in die Stadt suppt, Rheinluft, die einen automatisch durstig macht. Erfreut stellte er fest, dass die restliche Neustadt weniger schlimm aussah als die Gegend direkt am Bahnhof. In einem Laden kaufte er von seinem Willkommensgeld Zigaretten, Schokolade, eine Flasche Bier und einen Blumenstrau? Er klingelte an der T?r, zwei Mal, die T?r ging auf und er sah in das Gesicht eines unbekannten Mannes, der einen Schnurrbart trug und schwarze Haare hatte. Mit so etwas war zu rechnen gewesen. Von seiner Grundhaltung her war mein Gro?ater Realist, vor allem, was die Liebe betraf. Er hatte sich schon im Zug die Worte zurechtgelegt, die er sagen w?rde. Deutliche, aber besonnene Worte. Falls der Mann Deutsch verstand. Andernfalls w?rde es schwierig werden. Als er den Mund aufmachte, bemerkte er kleine Blutstropfen im Gesicht des fremden Mannes. Das Gesicht war blutgesprenkelt, als ob neben dem Mann jemand auf eine Mine getreten w?, jemand, den es in kleine St?cke gerissen hat. Solche Gesichter hatte mein Gro?ater schon das eine oder andere Mal gesehen, in Russland. Der Mann schwankte, er hielt eine Pistole in der Hand. Hinter ihm lag meine Gro?utter auf dem Teppich im Flur, sie schrie und fluchte gurgelnd und hielt sich den Hals, aus dem in regelm?gen Abst?en eine d?nne rote Font? herausschoss. Der unbekannte Mann schrie ebenfalls, allerdings auf Franz?sisch. Mein Gro?ater sagte gar nichts. Mein Gro?ater hie?Joseph. Er war vor dem Krieg Bahnarbeiter gewesen, ein blondes, gut aussehendes Muskelpaket, einige Jahre j?nger als meine Gro?utter. Sie hie?Katharina, war Sch?nheitst?erin und bildete unter dem K?nstlernamen Salom?e los Rios mit ihrer Schwester ein Duett, das im Reich ein gewisses Aufsehen erregte, weil es hart am Rande der Schicklichkeit tanzte, bei ausreichender Gage auch ein kleines St?ck ?ber diesen Rand hinaus. Sp?r arbeitete sie in einer Nachtbar, nicht mehr als T?erin im engeren Sinn, mehr in der Animierbranche. Sie sa?mit gro?n gr?nen Augen und honigfarbenen Beinen an der Bar, in T?ll und Seide verpackt wie eine Praline und verbreitete eine einladende Aura, die sich ins Unermessliche steigern konnte, sofern ihr ein Gast einen Drink ausgab. Sie war ein Naturtalent, weil die Liebe wirklich ihre Lieblingsbesch?igung war. Das ist bei den deutschen Frauen ihrer Generation ? nach allem, was man h?rt ? nicht unbedingt die Regel gewesen. Meine Gro?utter vermittelte den M?ern das Gef?hl, dass sie auch ohne Geld mit ihn