Die Nacht des Kirpitschnikow (gebundenes Buch)

Die andere Geschichte des Ersten Weltkriegs
ISBN/EAN: 9783552060296
Sprache: Deutsch
Umfang: 320 S., 10 s/w Illustr., mit zahlreichen Abbildung
Einband: gebundenes Buch
Nicht lieferbar

Dieser Artikel ist zur Zeit nicht lieferbar.

Auch verfügbar als:
Der Erste Weltkrieg ist ein ideales Feld, um nach Figuren und Ereignissen zu fahnden, die entscheidende Entwicklungen beschleunigten oder erst in Gang setzten: Timofej Kirpitschnikow gehört zu jenen mehr oder weniger unbekannten "Helden", die uns darüber nachdenken lassen, auf welche Weise der so genannte "kleine Mann" den Lauf der Geschichte beeinflussen kann. Der Unteroffizier eines Garderegimentes in St. Petersburg weigerte sich im Februar 1917, auf hungernde Demonstranten zu schießen, und löste damit eine Lawine aus, die in kürzester Zeit zum Sturz des Zaren führte. Verena Moritz und Hannes Leidinger haben jahrelang recherchiert und bisher unbekanntes Archivmaterial entdeckt. Sie nehmen den Leser mit in die Werkstatt des Historikers und machen es möglich, Geschichte neu zu erleben.
Verena Moritz, geboren 1969 in Eisenstadt, ist Historikerin und lebt in Wien. Sie ist Mitarbeiterin in mehreren wissenschaftlichen Projekten zur Entwicklung Mittel- und Osteuropas im 20. Jahrhundert, zahlreiche Publikationen zur Geschichte Russlands und Österreichs, der Habsburgermonarchie und der Kommunistischen Internationale. Bei Deuticke (gemeinsam mit Hannes Leidinger) erschienen: Schwarzbuch der Habsburger (2003), Die Nacht des Kirpitschnikow. Eine andere Geschichte des Ersten Weltkriegs (2006), Die Republik Österreich 1918/2008 (2008).
»Bedienungsanleitung« ein vorwort als orientierungshilfe Wer ist Kirpitschnikow? So wird wohl die erste Frage lauten. Eiligen Lesern möchten wir raten, sofort zur Mitte des Buches zu blättern, zum Kapitel »Es ist genug Blut geflossen!« Wer geduldiger ist, dem seien ein paar Gedanken mitgegeben: Kirpitschnikow ist, wenn man so will, vor ein paar Jahren in unser Leben getreten. Damals war er uns genauso unbekannt wie den meisten Lesern wahrscheinlich jetzt. Im Zuge der Lektüre von Alexander Solschenizyns großem Revolutionsroman mit dem Titel »Das Rote Rad« ist er uns das erste Mal begegnet. Erst nachdem wir eigene Recherchen angestellt hatten, waren wir überzeugt, dass Kirpitschnikow nicht nur ein Romanheld, eine fiktive Gestalt, ist, für die man ihn zunächst halten könnte. Alle Zweifel waren also ausgeräumt: Der Unteroffizier Timofej Iwanowitsch Kirpitschnikow ist eine historische Figur, die seinerzeit, das heißt 1917, in und für Russland eine bedeutende Rolle gespielt hat. Zumindest für kurze, ja sehr kurze Zeit. Er betrat die Bühne der Geschichte im Zusammenhang mit der russischen Februarrevolution - ein Ereignis, das in der Form, in der wir es heute kennen, ohne ihn vielleicht nicht denkbar gewesen wäre. Kirpitschnikow jedenfalls war es, der uns auf die Idee brachte, nach bisweilen auch unbekannten Menschen und Momenten in der Geschichte zu suchen, die ihren Lauf mehr oder weniger nachhaltig beeinflussten, die, wie es immer wieder heißen wird, jenen »Funken« darstellten, der nötig war, um etwas zu bewirken. Weil die Tat von Timofej Kirpitschnikow am Anfang unserer Überlegungen zu diesem Buch stand, entschieden wir uns auch für seinen Namen und seinen »Moment« als Titel. Der Erste Weltkrieg, oft als »Urkatastrophe« und eigentlicher Auftakt des Zwanzigsten Jahrhunderts beschrieben, ist ein ideales Feld, um nach den oben erwähnten Figuren und Ereignissen oder Momenten zu fahnden, die Prozesse jäh beschleunigten oder aber sie erst in Gang setzten. Unsere Beispiele sind alle der Geschichte der »Verlierer« dieses Krieges entnommen. Als solche sind nicht nur die Donaumonarchie und das Deutsche Kaiserreich zu betrachten; auch Russland, das frühzeitig aus dem Krieg ausschied, war bekanntlich alles andere als eine Siegermacht. Das Zarenimperium ging 1917 zugrunde, Österreich-Ungarn und das Hohenzollernreich folgten im Jahr darauf. Vor diesem Szenario eines bevorstehenden oder bereits mehr oder weniger eingetretenen Zerfalls, der gewissermaßen als Motor für einschneidende politische und gesellschaftliche Veränderungen diente, vollzogen sich auch die von uns ausgewählten »Momente«. In ihnen spielen stets Männer die Hauptrolle. Wo sind die Frauen?, möchte man fragen. Sie begegnen uns kurz, als »revolutionäre Masse«, in Zusammenhang mit Kirpitschnikows Geschichte. Ansonsten werden uns jene »weiblichen Individuen«, die wir namentlich kennen und die für unsere Beispiele im Buch von Bedeutung sind, als Klischeefiguren mit Hang zum Okkulten präsentiert, die obendrein - so die Darstellung in den Quellen - von eher zerstörerischer als gestalterischer Natur waren. Auch wenn sich gerade vor dem Hintergrund des Ersten Weltkriegs beachtliche emanzipatorische Fortschritte beobachten lassen und sich der Wunsch nach Gleichberechtigung - bei allen notwendigen Abstufungen hinsichtlich der Nachhaltigkeit und Breitenwirksamkeit - auf verschiedenen Ebenen erfüllen ließ, so war es doch im Wesentlichen eine »Männerwelt«, die die Entscheidungen traf. Umso mehr in jenen Bereichen, die wir für unsere Beispiele gewählt haben: Politik und Armee. Darüber hinaus soll nicht vergessen werden, dass es auch eine »Männerwelt« war, die in den ersten Jahrzehnten nach 1917/18 die Geschichte dieses Weltkriegs geschrieben hat. Was aber hat es nun bei genauerer Betrachtung mit den großen Augenblicken, also mit Begebenheiten von kurzer Dauer, etwa mit dem Wirken eines Timofej Kirpitschnikow, auf sich? Wir haben insgesamt fünf »Nahaufnahmen«, Momente, beziehungs