Peter der Große (gebundenes Buch)

ISBN/EAN: 9783353011909
Sprache: Deutsch
Umfang: 416 S.
Einband: gebundenes Buch
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Unter Peter dem Großen steigt Rußland zur europäischen Großmacht auf, in der Gegenwart sind Glanz und Ruhm des Landes versunken. Mit beeindruckender Geschichtskenntnis, voller Ironie und Hintersinn zeichnet Granin das Bild einer unvergleichlichen europäischen Herrscherfigur. Wer war Peter? Was ist Größe? Diese Fragen treiben fünf Petersburger Intellektuelle um, die selbst nicht mehr wissen, wer sie sind und was sie sollen nach dem Untergang des Sowjetreiches. Sie glauben, alles über Peter den Großen zu wissen, und müssen sich doch eingestehen, daß sie ihn nicht begreifen. Anfangs ist es nur die Lust, sich mit Geschichten über diesen schillerndsten aller russischen Zaren zu unterhalten. Doch schon bald verwischen die Grenzen zwischen Gestern und Heute, erscheinen die höfischen Intrigen von damals wie ein Zerrbild der gegenwärtigen Verhältnisse. So entsteht aus den zahlreichen Episoden um und über Peter den Großen nicht nur ein facettenreiches Porträt dieses faszinierenden Herrschers; Peters fanatischer Reformwille, sein Kampf gegen die Korruption, seine Gewalt, sein aufklärerischer Geist bieten zugleich immer wieder Erklärungsmuster für die heutigen Zustände. Gerade in dieser Verbindung aus Historie und Gegenwart entsteht die besondere Anziehungskraft dieses Romans über einen rätselhaften Herrscher.
Wurde 1919 im Wolyn (Kursk) geboren. Nach dem Studium der Elektrotechnik in Leningrad meldete sich Granin zu Kriegsbeginn als Freiwilliger und war bis Kriegsende als Panzerkommandeur an der Front. 1949, erst kurze Zeit als Ingenieur berufstätig, begann er mit dem Abdruck einer ersten Erzählung seine Laufbahn als Schriftsteller.
Prolog Ein Gebäude unseres Sanatoriums, ein direkt am Strand gelegenes altes Schloß, war mit Brettern vernagelt und von Fledermäusen, gewöhnlichen Mäusen und Gespenstern bewohnt. Abends nach dem Essen gingen wir gern dorthin. Wir schoben die Bretter beiseite, stiegen an zerschlagenen Vasen vorbei die breite Marmortreppe hinauf und liefen durch mehrere Säle bis zur Galerie. Unter unseren Füßen knirschten Glassplitter, Pappbecher und Zigarettenkippen lagen herum. Das Linoleum und die Zwischenwände waren rausgerissen, in den Ecken stapelten sich Eisenbetten, die Tapeten hingen in Fetzen von den Wänden. Der Verfall legte den ursprünglichen Palast bloß. Im großen Saal stand noch ein alter Kamin, voller leerer Flaschen. Es roch nach Kot, Urin und Moder. Wir traten auf die Galerie hinaus. Vom Park stieg Wärme auf. Wir konnten bis zur Bucht blicken; am dunklen Horizont lohte das Petersburger Abendrot. Im Park rauschte ein Wasserfall. Molotschkow erzählte, wer hier zu Peters und zu Katharinas Zeiten spazierengegangen war. Er kannte sie alle. Bisweilen kamen ihre Gespenster in den Park, geisterten in den Steinpavillons herum. Auf der Galerie standen Bänke, ein runder Tisch und ein Korbsessel. Den bekam Professor Tscheljukin. Alles an ihm entsprach dem Klischee von einem großen Gelehrten: akkurates graues Bärtchen, Siegelring, tiefe Baßstimme, selbst der Name - Jelisar Dmitrijewitsch. Er befaßte sich mit Forstschädlingen und liebte jegliches wuselndes Kleingetier - Käfer, Würmer, Kakerlaken. Darüber hatte er bereits mehrere Monographien geschrieben. Und den Wald, den sie anfraßen, den liebte er auch. 'Der Mensch, das ist nicht nur der Mensch', verkündete der Professor, 'das sind auch die Sterne, der Marienkäfer und die Viper.' Im Sanatorium waren wir weitgehend uns selbst überlassen. Niemand kümmerte sich recht um uns, wir lebten frei und träge in den Tag hinein. Geraskin brachte eine kleine Flasche Wodka mit, Anton Ossipowitsch Salzgurken und eingesalzene Tomaten, die er stets mit der Frage verteilte: 'Wie sagte schon Tschechow?' Um sofort selbst darauf zu antworten: 'Soviel die Gelehrten auch gegrübelt haben, etwas Besseres zum Wodka als eine Salzgurke haben sie noch nicht erfunden.' Anton Ossipowitsch achtete darauf, daß wir gesittet tranken - mit Trinksprüchen und Anstoßen, ohne Hast, ohne Nötigung. Als erster wurde Molotschkow betrunken. Wenn wir ihn nicht zum Reden anstachelten, versank er in sich selbst, flüsterte nur, murmelte und lächelte vor sich hin. Wir lenkten ihn auf historische Themen. Er war Historiker, obwohl er das bestritt und sagte, er sei nur Lehrer, ein ungebildeter Dilettant ohne wissenschaftliche Publikationen. Er beschäftigte sich schon sein Leben lang mit der petrinischen Epoche. Wenn er von Peter I. erzählte, leuchteten seine blauen Augen, die Stimme wurde kräftiger, das teilnahmslose Gesicht lebhaft. In Peters Umgebung hatte er Freunde und Feinde, seine Hofangelegenheiten interessierten ihn mehr als die heutigen Probleme. Eines Tages war er verstimmt, kippte ein Glas Wodka hinunter, ohne etwas zu essen, das zweite gleich hinterher, und erklärte dann, auf einer Londoner Auktion sei das Archiv von Pjotr Andrejewitsch Tolstoi versteigert worden. An wen, sei unbekannt. Unseren Leuten sei es natürlich durch die Lappen gegangen, und außerdem hätten sie sich wohl kaum in Unkosten gestürzt. Wenn man sich wenigstens mal ansehen könnte, was es alles enthielt. Bestimmt Dokumente, die Tolstoi seinerzeit außer Landes gebracht hatte. Pjotr Andrejewitsch Tolstoi war der Chef der Geheimkanzlei, ein hochrangiger Beamter, wahrscheinlich der dritte Mann im Staat, etwa wie Berija bei Stalin. Was mochte er rausgeschmuggelt haben? Vermutlich kompromittierendes Material gegen verschiedene Personen, das er an einem sicheren Ort unterbringen wollte. Für solches Material würde er, Molotschkow, sonstwas hergeben. Geraskin lachte. 'Was könnten Sie denn schon geben? E ...