Wie war das eigentlich »damals«? – Teil 2 Über die Anfänge der PERRY RHODAN-Serie und die beiden Gründungsautoren

27. August 2019

Rainer Eisfeld ist ein deutscher Politikwissenschaftler, der bis zu seiner Emeritierung im Jahr 2006 als Professor an der Universität Osnabrück tätig war. Eisfeld ist Jahrgang 1941 und zählte zu den ersten Science-Fiction-Fans in Deutschland, die sich dem damals neu gegründeten Science Fiction Club Deutschland anschlossen. Er kannte die Autoren, die später PERRY RHODAN begründen sollten, also Walter Ernsting alias Clark Darlton und Karl-Herbert Scheer.

Deshalb gibt es dieses Interview, das Klaus N. Frick führte und das im PERRY RHODAN-Report des Bandes 3020 veröffentlicht wurde. Wegen seiner Länge bringen wir es in drei Teilen: gestern Teil eins, heute Teil zwei, morgen Teil drei.

 

 

Frick: Walter hat dich und viele andere doch gefördert?

Eisfeld: Das steht völlig außer Frage, und dafür bleibe ich ihm dankbar. Wenn Walter loben, ermuntern, unterstützen konnte, zeigte er sich von seiner hilfreichsten Seite. Als ich bei einer Schulausstellung die Werbetrommel für Science Fiction und den SFCD rührte – daraus ging dann die SFCD-Gruppe Bonn hervor –, druckte er darüber einen Bericht im »Utopia-Magazin«. Im Fanzine »Andromeda« übertrug er mir die »Wissenschaftliche Redaktion«.

Als 1957 weder er noch Julian Parr zum WeltCon in London fahren konnten, betraute er mich mit der Vertretung des SFCD. Und als mit der Zunahme der SF-Heftreihen Bedarf an Übersetzern entstand, zögerte Walter nicht, mich wie andere 15-, 16-jährige Fans für diese Aufgabe heranzuziehen. Mit zwei Kurzgeschichten lieferte ich mein »Gesellenstück« ab und erhielt dann von Walter die ersten Romane zum Übersetzen – Klassiker wie Clifford D. Simak, Isaac Asimov, A. E. van Vogt oder Fredric Brown. Eine hochwillkommene Aufbesserung meines schmalen Taschengeldes; ohne mein erstes Übersetzungshonorar wäre beispielsweise an London nicht zu denken gewesen.

 

Frick: Und wie kam Walter Ernsting – wir sprechen ja immer noch über die Zeit vor PERRY RHODAN – als Autor an, bei dir, bei den Fans, den Lesern?

Eisfeld: Dazu möchte ich vorweg einen kleinen Luftballon platzen lassen. Hauptberuflich war Walter ja seit 1954 beim Pabel-Verlag tätig als Redakteur, Übersetzer – meistens – und Bearbeiter der UTOPIA-Großbände. Als Schriftsteller legte er sich bekanntlich das Alias »Clark Darlton« zu, erfand für seinen ersten Roman den fiktiven englischen Titel »To-Morrow the Future« und ließ ihn als »UFO am Nachthimmel« im Großband 19 erscheinen.

Seit Jahrzehnten kursiert die Legende, Walter habe das Manuskript dem verantwortlichen Verlagslektor, Kurt Bernhardt, als englisches Original untergejubelt, denn schließlich beanspruchte UTOPIA-Großband ja, Übersetzungen aus dem Englischen zu veröffentlichen. Der Witz ist bloß, dass dies bereits der fünfte Roman der Reihe war, bei dem der Trick mit dem englischen Pseudonym angewandt wurde.

Und natürlich wusste Walter das, und man wusste es beim Verlag ebenso. Den Anfang machte Großband 9, »Frauen für Pleja«, angeblich unter dem Titel »The Devil’s Egg« verfasst von »James S. White« und übersetzt von »Jim Gray«. Tatsächlich waren beides Tarnnamen, die der deutsche Schriftsteller Joachim Rennau benutzte. Unter seinem weiteren Pseudonym »Rolf Randall« verfasste er jede Menge »Billy Jenkins«-, »Tom Prox«- und »Pete«-Hefte.

Für die Großbände 14, 17 und 20 hatte der Leihbuch- und Heftautor Kurt Walter Roecken, der als »C. V. Rock« Kriminalromane schrieb, das Pseudonym »Henry Walter« verwendet. Der Bluff ging so weit, dass bei Ankündigung der Hefte behauptet wurde, Walter habe seine Zukunftsromane »erstmalig 1947 in Pittsburgh, PA.« publiziert. Als ich das alles viel später erfuhr, fand ich es übrigens nicht so witzig, denn hinters Licht geführt wurden die Leser, die ihr Geld keineswegs für die erwarteten angelsächsischen »Science-Fiction-Erfolge« ausgaben.

Nun also zu Walters Erstlingswerk aus dem Jahr 1955, »UFO am Nachthimmel«. Ein Roman über ein notgelandetes Flugobjekt mit Besuchern – dazu auch noch grünhäutigen - vom Sirius, repariert mithilfe eines amerikanischen Amateurastronomen, eines britischen Physikers und seiner Verlobten sowie eines französischen Radiohändlers namens Monsieur Durand, die sich anschließend in interstellare Abenteuer verwickelt fanden … eine solche Fabel konnte damals nur einschlagen. Mit relativistischen Flügen knapp unter Lichtgeschwindigkeit hatte Walter zudem ein Thema gefunden, das sich als Dauerbrenner erwies.

Die Leser honorierten beides, UFOs und ­Zeitdilatation. Als Hugo Gernsback dem SFCD das Recht einräumte, den jahresbesten deutschen Science-Fiction-Roman mit einem »Hugo« zu prämieren, wie er seit 1953 auf WorldCons für angelsächsische SF verliehen wurde, gewann Walter den Preis dreimal hintereinander für »UFO am Nachthimmel«, »Die Zeit ist gegen uns« (Großband 36, 1956) und schließlich »Raum ohne Zeit« (Großband 51, 1957). Natürlich darf man wegen der damals ganz anderen Marktlage und Konkurrenzsituation den deutschen »Hugo« nicht einfach analog zum amerikanischen Gegenstück beurteilen – oder zum Kurd Laßwitz Preis, wie er seit 1980 verliehen wird.

Und Walters Romane, mit denen er sich zwischendurch (»Satan wird kommen« oder »Das ewige Gesetz«) in Schöpfungsmythen der Menschheitsgeschichte à la Erich von Däniken verirrte – mit dem er bekanntlich befreundet war –, kamen weit weniger gut an. Dennoch zeugten die drei »Hugos« von Walters anhaltender Beliebtheit.