PERRY RHODAN aus Sicht der DDR – Teil zwei Eine Kolumne von Stefan Pannor über die Serienkritik aus ideologischer Sicht

4. Oktober 2023

Zentraler Schwerpunkt in dem PERRY RHODAN-Report 568, der in PERRY RHODAN-Band 3228 (»Die Nacht der Anuupi« von Michael Marcus Thurner) veröffentlicht wurde, war die ehemaligen DDR und ihr Bezug zur PERRY RHODAN-Serie. Der Autor und Redakteur Stefan Pannor informierte unter anderem über die ideologische Kritik aus der DDR an der Serie.

Diesen Beitrag dokumentieren wir sehr gern auch an dieser Stelle. Wegen seiner Länge kommt er als Kolumne in zwei Teilen.

 

Unheilige Missionen

Bereits der erste der Hauptartikel ist programmatisch überschrieben mit »Die unheilige Mission des Perry Rhodan« und kündet, durchaus verlockend, im Untertitel eine »Sintflut der Verführung auf dem westlichen Science-Fiction-Markt« an. Er stammt von Werner Müller-Claud, einem DDR-Publizisten, der unter anderem das sozialistisch linientreue Sachbuch »Wir werden es erleben – An der Schwelle zum Dritten Jahrtausend« verfasst hat.

Der Autor erweist sich als verblüffend versiert in der Serie, oder kann zumindest gut so tun als ob. Obwohl er nur Heft 450 konkret als Quelle benennt, weiß er, was Dolans sind, Posbis, Haluter und die Zeitpolizei. Er weiß, dass Blues Eier legen, wie viele Menschen im Solaren Imperium leben (23 Milliarden) und welche Haarfarbe Perry Rhodan hat. Nichts davon wird in Heft 450 erwähnt.

Was also ist nun jene »unheilige Mission« Perry Rhodans? »Kämpfen muss … er, und – Gott sei’s geklagt – auch töten. Denn außerirdische Teufel bedrohen das Solare Imperium«. Dabei beruft sich Müller-Claud auf westdeutsche Kritiker: Robert Jungk, der PERRY RHODAN im TV-Magazin »Monitor« kritisiert hatte, dazu Artikel aus »Die Zeit« und »konkret«.

Der Autor übt seine Kritik aus höchsten Höhen des Elfenbeinturms. »PERRY RHODAN diskreditiert … die Ideen der Konvergenztheoretiker, die ja eine Welt-›Einigung‹ ohne Gewalt, ohne Krieg und ohne Großadministrator weissagten«, indem er »schonungslos das Weiterleben der kapitalistischen Wolfsgesetze, wenn auch in idealisierter Form, kreiert«. Bei der Konvergenztheorie handelt es sich um eine Annahme aus den Wirtschaftswissenschaften, dass ähnliche Probleme zu ähnlichen Lösungen führen, egal ob in Kapitalismus oder Sozialismus.

PERRY RHODAN, so Müller-Claud weiter, rechtfertige damit die Marktgesetze des Kapitalismus, die sich direkt aus dem Faschismus herleiten würden und die PERRY RHODAN in kleinbürgerlicher Weise verbreite. Das ist sie, die unheilige Mission.

Trotz, oder womöglich wegen seiner Ideologietriefigkeit ist Müller-Clauds Text, wie viele kulturkritische Texte der DDR, von einer Doppeldeutigkeit, von der sich rückblickend nicht sagen lässt, ob sie Absicht oder Projektion ist. Ausführlich beschreibt er den (tatsächlich in jener Phase der Serie zweifelhaften) Zustand der Demokratie im Perryversum: Rhodan »schätzt auch den Wert einer dekorativen Demokratie (allzu echte ist ungesund). Seine Getreuen der administrativen und wissenschaftlichen Spitze, ›gewählte Vertreter‹ des solaren Volkes, genießen gerne das Zusammensein mit dem Meister, auch wenn sie sich bei dessen klugen Entscheidungen auf ein Nicken beschränken können«. War Müller-Claud bewusst, dass er hier die DDR-»Demokratie« beschrieb, war es eine Spitze gegen das eigene Land oder Blindheit aus Überzeugung?

Parallel zu Müller-Clauds Text steht der Aufsatz »Der starke Mann und die Angst in der Science Fiction« von Gottfried Tenner, einem Autor, zu dem sich nichts auffinden lässt. Tenner bezieht sich in seinem Artikel vor allem auf die von ihm monierte Unwissenschaftlichkeit in PERRY RHODAN, die er in den größeren Rahmen der westlichen Science Fiction (SF) insgesamt setzt und verurteilt: SF »darf wissenschaftliche Kenntnisse nie überwuchern«, sprich: ihnen nicht widersprechen. Das setzt einen engen Rahmen.

Um PERRY RHODAN geht es Tenner nur am Rande, man kann vermuten, dass der Autor keines der Hefte gelesen hat, wenn er moniert, dass »die ›Unsterblichkeit‹ bei PERRY RHODAN nicht zufällig mit seinen kriegerischen Ambitionen« zusammenfällt. Das und der wohl unvermeidliche Verweis auf Hitler ist wenig anderes als Nachgeplapper ost- wie westdeutscher Kritik jener Zeit. Während Müller-Claud immerhin den Eindruck vermittelt, PERRY RHODAN gelesen zu haben, weiß Tenner offensichtlich nicht, wovon er redet.

 

Gestatten, Guy Thunder

1977 erschien im Ostberliner Akademie-Verlag die zweiteilige Aufsatzsammlung »Kürbiskerne – Beiträge zu Politik und Kultur in der BRD«. Zu den Autoren gehörten bekannte westdeutsche Literaten wie Martin Walser und Alfred Andersch. Gerd Hallenberger und Heinrich Keim äußern sich darin über »Die Zukunft als Ware«. Ihr Abriss zur SF insgesamt versucht auf sechs von insgesamt zwanzig Seiten, die bundesdeutsche SF zusammenzufassen, und widmet zwei bis drei Absätze davon PERRY RHODAN.

Nüchtern konstatieren die westdeutschen Autoren: »Es ist bereits so viel über die PERRY RHODAN-Serie geschrieben worden, dass es sich an dieser Stelle erübrigt, längere Ausführungen dazu zu machen.« Aber natürlich machen sie dann doch ein paar Anmerkungen, etwa dass die Serie »permanent faschistoides Gedankengut« verbreite.

Mit dieser unoriginellen Einschätzung endete die Rezeption von PERRY RHODAN in der Presse der DDR. Nicht aber die von PERRY RHODAN!

1973 entstand die Erzählung »Der Beobachter« von Erik Simon, sie erschien 1979 in seiner Anthologie »Fremde Sterne« im Verlag Das Neue Berlin. Erik Simon ist einer der wichtigsten Autoren, Herausgeber und Übersetzer der ostdeutschen SF. Er hat unter anderem das Gesamtwerk der Strugatzkis ins Deutsche übertragen. Sicher auch deshalb erhielt »Fremde Sterne« 2002 eine Neuauflage beim Verlag Shayol, und 2021 erneut eine bei Memoranda, diesmal unter dem Titel »Sternbilder«. Damit ist er das einzige Stück ostdeutscher RHODAN-Rezeption, das bis heute lieferbar ist. Und das einzige, das es wert ist.

»Der Beobachter« erzählt auf wenigen Seiten die Begegnung eines westdeutschen SF-Fans, der ein Heft des Weltraumhelden »Guy Thunder« liest, mit tatsächlichen Aliens. Während es in der Realität des Fans um Wurstbrote geht, handeln die Abenteuer des martialischen Guy Thunder von einer Invasion der Rigelianer, die der »Admiral« in seinem Schlachtschiff aus »Astroniumlegierung« abzuwehren versucht. Simon verknüpft beide Handlungsebenen durch lange Textauszüge aus einem fiktiven »Guy-Thunder«-Heft.

Natürlich ist dieser Guy Thunder Perry Rhodan. Simon gibt zu, Thunder sei eine »Imitation« von RHODAN. Denn »eine Parodie ist es nur in dem Maße, wie das Vorbild selbst schon seine eigene Parodie war«. Verblüffend ähnlich äußert sich Hannes Riffel in seinem Vorwort zur Neuausgabe von 2021, wo er von der »Autorenkrake« PERRY RHODAN redet, die zusammen mit dem gesamten Heftromanmarkt »einen Großteil des Potentials (an Autoren) abschöpfte und in seine Minimalform presste«.

Lustigerweise war ausgerechnet Riffel Initiator von Andreas Eschbachs »Perry Rhodan – Das größte Abenteuer« im Verlag Fischer-TOR. Jedenfalls hat er recht, wenn er Simons Erzählungen »ein großes Lesevergnügen« nennt – aber außerdem bieten sie eine kleine ostdeutsche Kuriosität zu PERRY RHODAN.