Nachruf auf Michael H. Buchholz Rüdiger Schäfer erinnert an seinen Freund und Kollegen

22. März 2017

»Von allen Geschenken, die uns das Schicksal gewährt, gibt es kein größeres Gut als die Freundschaft – keinen größeren Reichtum, keine größere Freude.«

(Epikur von Samos, griechischer Philosoph, um 341 – ca. 270 v. Chr.)

Michael H. Buchholz

12. März 1957 – 6. März 2017

Eine der wenigen Vorteile des Alterns ist der Erkenntnisgewinn. Das Sammeln von Lebenserfahrung hilft ungemein dabei, Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden und die richtigen Prioritäten zu setzen. Man kann die Welt aus vielen Perspektiven betrachten, doch um zu erkennen, welche Dinge sich dabei nicht verändern, benötigt man vor allem Zeit.

Michael und ich lernten uns Ende der 1980er-Jahre kennen. Die ATLAN-Serie war gerade mit Band 850 eingestellt worden, und ich suchte über die PR-LKS nach ein paar gleichgesinnten Fans, um die Abenteuer des unsterblichen Arkoniden im Atlan-Club Deutschland (ACD) fortsetzen zu können. Michael meldete sich per E-Mail mit einer Arbeitsprobe – der Rest ist Geschichte. Die Atlan-Fanzine-Serie (AFS) brachte es bis zum Jahr 2001 auf 23 Romane, wurde ein großer Erfolg und zweimal in Buchform nachgedruckt.

1989 steckte ich noch mitten im Studium an der Uni Göttingen; an den meisten Wochenenden kehrte ich nach Sarstedt zurück und wohnte bei meinen Eltern. Michael lebte schon damals in Hannover, kaum mehr als eine knappe halbe Autostunde entfernt. Also trafen wir uns irgendwann persönlich – und das war, frei nach Humphrey Bogart, der Beginn einer wunderbaren Freundschaft.

Ich habe Michael von Anfang an als überaus ausgeglichenen, sensiblen, klugen und gebildeten Mann erlebt. Doch über allem thronte seine überschäumende Phantasie. Diese Fähigkeit, ungewöhnliche und originelle Ideen beinahe spielerisch und im Akkord aus dem Ärmel zu schütteln, habe ich seitdem bei keinem anderen mehr gefunden – und ich habe das große Glück, mit vielen kreativen Menschen zusammenarbeiten zu dürfen.

Wenn wir uns trafen, schien es sogar noch so etwas wie einen Katalysatoreffekt zu geben. Wie oft haben wir wohl zusammengehockt, meistens im Garten oder im Wohnzimmer zu Hause bei Michael, seiner Frau Sabine und den Katzen, und unsere Konzepte entwickelt, unsere Welten gebaut und uns die Einfälle im Minutentakt an die Köpfe geworfen? Ich weiß es nicht mehr.

Mit unserem größten gemeinsamen Eigenprojekt, der Krimiparodie »Die Wellensittich-Morde«, gewöhnten wir uns eine Arbeitsweise an, bei der wir uns die Texte in schnellem Wechsel gegenseitig hin- und herschickten und so die Schöpferkraft des jeweils anderen immer wieder neu befeuerten. Diese Art des literarischen Austauschs behielten wir bis zum Schluss bei.

Ende 2004 bekam Michael die Chance, seinen ersten ATLAN-Heftroman als Profi zu schreiben. Zuvor hatte er bereits eine Reihe von Sachbüchern in seiner Eigenschaft als Persönlichkeitstrainer veröffentlicht. Ich weiß noch sehr gut, wie ich ihn damals beneidet habe, nicht wissend, dass ich einige Monate später gleichfalls mein Profidebut geben sollte.

Gemeinsam stiegen wir später bei den von Fantasy Productions herausgebrachten ATLAN-Taschenbüchern ein. Während ich dem Perryversum treu blieb, erfüllte sich Michael einen Kindheitstraum und veröffentlichte sein Fantasy-Epos »Gilwenzeit« bei Bastei, von dem drei dicke Wälzer erschienen und das nun wohl leider nicht mehr vollendet wird.

2013 kam die niederschmetternde Diagnose: Kehlkopfkrebs! Ich wollte es nicht glauben. Ausgerechnet Michael, der nicht rauchte, nicht trank, kein Übergewicht hatte und sich stets gesund ernährte. Und dann war auch noch die angenehm sonore Stimme weg, mit der er als Trainer und Seminarleiter sein Geld verdiente …

Das Angebot, die Serie PERRY RHODAN NEO ab Band 101 als Exposéautoren zu übernehmen, mutet im Nachhinein wie ein untauglicher Versuch des Schicksals an, einen gewaltigen Fehler zumindest ansatzweise wiedergutzumachen. Die folgenden zwei Jahre waren großartig und furchtbar zugleich.

Michael kämpfte gegen die Krankheit, deren Verlauf an eine Achterbahnfahrt erinnerte. Gleichzeitig lebten wir unseren Traum, trugen unseren Teil zu einem Phänomen bei, das uns von Kindesbeinen an begleitet hatte. Als absehbar war, dass wir unser großes Ziel, den Jubiläumsband 150 nicht nur erreichen, sondern sogar übertreffen würden, war das ein großartiges Gefühl.

Wir wollten den Roman gemeinsam schreiben. Das ist nun nicht mehr möglich. Und einmal mehr sind es die unberechenbaren Launen des Lebens, die mich den Kopf schütteln lassen. Anfang 2015 verhinderte die Krankheit, dass Michael seinen ersten NEO-Roman (Band 89, »Tschato, der Panther«) beenden konnte. Ich sprang ein und schrieb ihn fertig. Zwei Jahre später war es erneut der Krebs, doch diesmal erzwang er nicht unsere Zusammenarbeit, sondern verhinderte sie.

In jenen Tagen, in denen ich diese Gedanken niederlege, erscheint mit NEO 144 Michaels letzter Roman. Zwei Tage vor seinem Tod traf seine letzte E-Mail bei mir ein. Sie enthielt einige Ideen für das Exposé für NEO 152. Dazu die schlichten Worte »Hallo Rüdiger, mehr ging nicht. Sorry. Beste Grüße. Michael.«
Ich habe mir vorgenommen, mich nicht selbst zu bemitleiden. Dafür, dass ich etwas verloren habe, was man nicht allzu oft findet. Michael hat mein Leben weit über das normale Maß hinaus bereichert. Dafür muss und will ich dankbar sein, denn Freundschaft, das wussten schon die alten Griechen, ist das größte Geschenk, das wir uns erhoffen dürfen.

Bertolt Brecht hat einmal gesagt: »Wenn ein Freund weggeht, muss man die Türe schließen, sonst wird es kalt.« Immerhin: In diesem Fall lässt sich die Kälte vertreiben. Mit den Erinnerungen an die unglaublichen Abenteuer, die wir erlebt haben. Mit unseren Figuren, die bleiben. Mit unseren Welten und Geschichten, die ich hoffentlich noch eine Weile fortführen darf.

Für diese verrückte Reise in die Zukunft, die wir Leben nennen, hätte ich mir keinen besseren Gefährten wünschen können. Mach's gut, alter Freund. Es war ein Privileg – und ein unbeschreibliches Vergnügen …