Das übersichtliche Angebot von Heute Ein Interview mit Dieter von Reeken

29. Dezember 2020

Der Verleger Dieter von Reeken beschäftigt sich in seinem Verlag vor allem mit der phantastischen Literatur, die vor der PERRY RHODAN-Serie veröffentlicht worden ist. In einem Interview mit Ben Calvin Hary spricht er über seine Arbeit, frühe Einflüsse auf die Science Fiction und die Fan-Szene von einst.

Das Interview wurde bereits in dem PERRY RHODAN-Report abgedruckt, der in Band 3096 unserer Serie veröffentlicht wurde.

 

Die phantastische Literatur existierte in Deutschland lange vor der PERRY RHODAN-Serie. Viele frühe Serien, Reihen und Romane aber sind beim modernen Publikum in Vergessenheit geraten. Einer, der sich für sie einsetzt, ist der Verleger Dieter von Reeken, bei dem auch das Sachbuch unseres #Report#-Autors Heinrich Stöllner erschienen ist. Im Interview spricht er über seine Arbeit, frühe Einflüsse auf die Science Fiction und die Fan-Szene von einst.

 

Ben Calvin Hary (BCH): Herr von Reeken, im Katalog Ihres Verlags findet man Romane und Erzählungen aus der phantastischen Literatur des frühen zwanzigsten Jahrhunderts. Das ist eine Literatur, die sich im Jahr 2020 nicht länger ans Massenpublikum richtet. Wie kam diese Vorliebe zustande?

Dieter von Reeken (DvR): Da muss ich weit zurückblenden. In den sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts hat Jakob Bleymehl, ein leidenschaftlicher Sammler alter utopischer Literatur, den Versuch gewagt, alte, kaum mehr erreichbare utopische Texte neu zu veröffentlichen. Da dies in Schreibmaschinenschrift im Spiritusumdruck-Verfahren geschah, war die Nachfrage zu gering. Ab 2004 – inzwischen gibt es den Digitaldruck auch für kleine Auflagen – habe ich seinen Versuch wieder aufgegriffen und seitdem etwa 160 Bücher veröffentlicht.

BCH: Welche Titel haben es in Ihre Auswahl geschafft? Welche Kriterien legen Sie an?

DvR: Ich habe Romane und Erzählungen gewählt, deren Originale schwer zugänglich waren, so dass ich eine Lücke füllen konnte. Außerdem sollten sie in ihrer Entstehungszeit eine gewisse Bedeutung gehabt haben und auch rückblickend von einiger Bedeutung sein. Ein wenig stolz bin ich auf meine Kurd-Laßwitz-Werkausgabe in zwanzig Bänden.

BCH: Neben Prosa veröffentlichten Sie auch Sachbücher zur Science Fiction. Warum soll man solchen Publikationen eine Plattform bieten?

DvR: Zum Verständnis älterer utopischer Literatur ist es hilfreich, die Lebens- und Arbeitsumstände der Autoren, ihre Schreibmotive und die Wirkung ihrer Werke auf die Leser zu kennen. Nachdem es jahrzehntelang kaum Sekundärliteratur über Utopien und noch weniger über Science Fiction gegeben hat, sind entsprechende Bibliografien, Untersuchungen und Darstellungen in den vergangenen Jahren auch in etablierten Verlagen erschienen.

Es gibt aber, insbesondere zu den Schwerpunkten Leihbuch, Heftroman und Taschenbuch, noch Lücken. Ich bin froh, dass erfahrene Sammler und Beobachter der Szene mir ihre Kenntnisse und Erkenntnisse zur Veröffentlichung anvertraut haben.

BCH: In Ihrem Verlag erschienen Werke des Autors Paul Alfred Müller, der mir in erster Linie unter seinen Pseudonymen Lok Myler oder Freder van Holk als der Erfinder der »Sun Koh«-Romane bekannt ist. In Deutschland war phantastische Literatur lange gleichbedeutend mit Publikationen in Heftromanform. Welche Serien oder Reihen waren, neben PERRY RHODAN, Ihrer Meinung nach am einflussreichsten, welche wirken bis heute literarisch nach?

DvR: Neben Hans Dominik hat tatsächlich Paul Alfred Müller mit seinen Serien »Sun Koh« und »Jan Mayen« die Leserschaft der dreißiger bis fünfziger Jahre geprägt. Eine unmittelbare Nachwirkung ist heute praktisch nicht mehr zu spüren, denn es sind zwei bis drei Generationen »nachgewachsen«, die seither die internationale Science Fiction kennengelernt haben, wenn auch oft in gekürzter Form durch Heftromanreihen wie UTOPIA-Großband und TERRA.

BCH: Sie waren Mitglied des SFCD und lange aktives Mitglied der Fan-Szene. Wer, wie ich, nach 1980 geboren ist, kennt die »alte« Szene mit ihren prominenten Fans, die es oft zu Autoren- und Starstatus geschafft haben, nur aus Berichten. Wie haben Sie die Science-Fiction-Landschaft jener Tage empfunden?

DvR: Da kommen nostalgische Gefühle auf. In einer Zeit ohne Internet, ohne Computer mit Textverarbeitungsprogrammen, ohne E-Mails und ohne SMS tauschte man sich brieflich oder durch Leserbriefe und Beiträge in Fanzines aus. Heute kann man über eine Frage innerhalb weniger Stunden diskutieren, damals dauerte das Wochen oder Monate. Außerdem musste man viel Geld für Porto ausgeben und brauchte auch irgendwann eine Schreibmaschine.

Ich erinnere mich gern an diese Zeit, aber ich trauere ihr nicht nach. Die heutigen Informationsmöglichkeiten möchte ich nicht mehr missen. Manche als verschollen geltende Texte von Kurd Laßwitz von 1868 und 1869, die in den Kellern der Stadtbibliothek von Chicago schlummern, und einen handschriftlich nachgelassenen Text hätte ich mit den Möglichkeiten der sechziger Jahre wohl kaum gefunden.

BCH: Neben PERRY RHODAN und ATLAN boten Reihen wie TERRA oder UTOPIA den Nachwuchsautoren reichlich Einstiegsmöglichkeiten. Dieser »Standardweg« ist heute nahezu nicht mehr vorhanden. Sehen Sie das kritisch?

DvR: Ich halte das nicht für so schlimm. Die Heftromane engten die Kreativität vieler Autoren angesichts vorgegebener Seitenzahlen ein, außerdem kam da auch nicht jeder Autor zum Zug. Veröffentlichungen als »Book on Demand« finden praktisch unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, aber es gibt einige engagierte Kleinverlage, die zeitgenössische Erzählungen auch neuer Autoren herausgeben. Ich nehme an, dass die Redaktionen der etablierten Verlage solche Veröffentlichungen zumindest interessiert beobachten und den einen oder anderen Autor für sich »entdecken«.

BCH: Literatur als Kunstform ist auch Moden unterworfen. Hat die Phantastik sich in den vergangenen Jahrzehnten, insbesondere seit dem Ende der »großen« Heftromanzeit, zum Positiven weiterentwickelt? Was fehlt Ihnen in der heutigen Medien- und Verlagslandschaft?

DvR: Es gibt unterschiedliche Entwicklungen und neue Handlungsfelder, aber auch Bewährtes und Geschätztes. Das Angebot ist nach dem Boom der siebziger und achtziger Jahre zwar übersichtlicher geworden, aber im Vergleich zu den fünfziger Jahren können wir aus dem Vollen schöpfen. Mir fehlen jedoch Magazine wie »Galaxis«, das UTOPIA-Magazin oder das »Heyne SF-Magazin«. Da ist es ein Trost, dass engagierte Kleinverlage mit viel Liebe Publikationen wie »Exodus« und »Nova« herausgeben.

#Den Verlag von Dieter von Reeken findet man im Internet: dieter-von-reeken.de#