Gab es Autoren aus dem »Osten« – Teil eins Eine Kolumne von Stefan Pannor über PERRY RHODAN-Mitstreiter aus der DDR

15. September 2023

Der PERRY RHODAN-Report 568, der in PERRY RHODAN-Band 3228 (»Die Nacht der Anuupi« von Michael Marcus Thurner) veröffentlicht wurde, widmete sich vor allem der Science Fiction in der ehemaligen DDR. Der Autor und Redakteur Stefan Pannor informierte unter anderem über die wenigen PERRY RHODAN-Autoren mit »Ost-Hintergrund«

Diesen Beitrag dokumentieren wir sehr gern auch an dieser Stelle. Wegen seiner Länge kommt er als Kolumne in drei Teilen an aufeinanderfolgenden Tagen.

 

Aus der DDR geflohen

Obwohl Ostdeutschland eine lange Tradition in der Science Fiction – SF – hat, gab es in den mehr als dreißig Jahren seit der Wiedervereinigung kaum ostdeutsche PERRY RHODAN-Autorinnen und -Autoren. Warum? Wir beginnen unsere Suche in der Zeit vor der Wende.

Wenn einer aus der DDR floh, sagte man, er sei »rübergemacht«. So ein Rübergemachter war Horst Gehrmann alias H. G. Ewers. Von 1965 bis 1994 war Ewers einer der prägenden Autoren der PERRY RHODAN-Serie und ihrer Ableger, rein numerisch sogar ihr prägendster: Er ist der Autor mit den meisten Beiträgen.

Ewers floh 1961 aus der DDR. Ein genaues Datum ist nicht bekannt. Allerdings lässt sich aus seiner eigenen Schilderung im ersten Band der PERRY RHODAN-Chronik ablesen, dass es wohl im direkten Vorfeld des Mauerbaus gewesen sein muss:

»Ich war gerade erst aus der DDR geflohen – und hatte dort meinen ersten Science-Fiction-Roman verbrannt, weil ich sonst nicht mit der Reichsbahn nach Berlin hätte reisen können, sondern noch im Zug verhaftet worden wäre, wie zahlreiche andere Frauen und Männer und Kinder, die ich nach der Kontrolle ›verloren‹ auf dem Bahnsteig stehen sah, die Verhaftung und Einkerkerung wegen ›versuchter Republikflucht‹ vor Augen …«

Berlin war in dieser Zeit das Schlupfloch für DDR-Bürger, die den Staat verlassen wollten. Nur dort war es möglich, die Sektorengrenzen der Alliierten relativ unkontrolliert zu überschreiten. Ansonsten galt seit 1954 ein verschärftes Ausreisegesetz, das ein Verlassen der DDR kaum noch möglich machte. Infolgedessen war Berlin zum Nadelöhr für viele Flüchtlinge geworden, weshalb Züge dorthin besonders streng kontrolliert wurden.

Ob Ewers mit und wegen seines Manuskripts aus dem Zug gezerrt worden wäre, ist ungewiss. Immerhin gab es auch in Ostberlin Verlage, und SF-Romane einheimischer Autoren erschienen ab 1949. Die Idee, dass ein junger Autor sich dort vorstellig machen wollte, wäre also nicht allzu absurd gewesen.

Dennoch verfasste Ewers nach eigenen Angaben den vernichteten Roman neu, nachdem er mit Umweg über Berlin in Köln angekommen war, wo seine Eltern lebten. Er erschien als Zweiteiler in den zusammen in einer Plastikfolie ausgelieferten TERRA-Heften 364 und 365 unter dem Titel »Vermächtnis der toten Augen« (1964), nachdem der Autor sich mit einigen anderen Heftromanen bereits einen kleinen Namen gemacht hatte. Es folgten fünf weitere Teile des Zyklus.

Der Text, wie Ewers ihn mehrere Jahre nach der vernichteten »ostdeutschen Fassung« rekonstruierte, war sichtlich auf die Bedürfnisse des westdeutschen Heftromans hin zurechtgeschnitten: Es ist ein typischer Doppelband mit Cliffhanger, viel Action, kurzen, prägnanten Charakterisierungen und einer Handlung, die bis zur allerletzten Seite läuft – weitab von den eher gemächlichen Handlungsverläufen der DDR-SF der späten Fünfzigerjahre.

Bereits 1962 klopfte der damalige Chefredakteur einer neuen SF-Serie bei dem jungen Autor an: »Bei PERRY RHODAN 40 schickte mir Kurt Bernhardt dann einige Ausgaben und fragte an, ob ich Lust hätte mitzuarbeiten.« Da Günter M. Schelwokat als Lektor den Autor allerdings noch etwas reifen lassen wollte, wurde daraus erst 1965 etwas. Ewers’ erster PR-Heftroman war Nummer 198, »Die letzte Bastion«, davor hatte er bereits zwei Taschenbücher für die Serie verfasst.

 

H. G. Ewers und Johnny Bruck

Bei PERRY RHODAN angekommen, konnte Ewers einem Landsmann begegnen. Ewers war 1930 in Weißenfels geboren, einer Kleinstadt knapp dreißig Kilometer entfernt von Halle/Saale. Von dort, aus Halle, kam Johnny Bruck, geboren 1921 als Johannes Herbert Bruck. Bruck zeichnete die Titelbilder der Heftserie fast durchgängig von Heft 1 bis Heft 1799.

Anders als Ewers war Bruck allerdings kein Rübergemachter. Im Zweiten Weltkrieg war er an der Ostfront eingesetzt, von wo er sich nach der Kapitulation 1945 nach Hamburg und später nach Goslar absetzte. Anders als Ewers kannte Bruck also die spezifisch ostdeutschen Verhältnisse nicht, die sich spätestens ab der Gründung der DDR als eigenständiger Staat 1949 entwickelten und die zur Flucht vieler führten, die wie Ewers »rübermachten«.

Es ist seltsam: Der aktivste Autor und der aktivste Zeichner der Serie stammen beide aus Ostdeutschland – zugleich sind sie praktisch die einzigen ostdeutschen Köpfe der Serie. Alle anderen Autoren stammen gebürtig aus den westlichen Teilen Deutschlands, mit vor allem zu Anfang zwei starken Schwerpunkten auf den Raum Frankfurt und Nordrhein-Westfalen.