Der legendäre Titelbildzeichner – Teil zwei Eine Kolumne von Frank G. Gerigk über Johnny Bruck

6. Juni 2021

Der PERRY RHODAN-Roman »Flug in die Freiheit« (Band 3116, geschrieben von Kai Hirdt) enthielt einen Artikel von Frank G. Gerigk, der als Teil des aktuellen PERRY RHODAN-Reports veröffentlicht wurde. Diese Kolumne bringen wir nun in zwei Teilen auch an dieser Stelle: Gestern erschien Teil eins, heute ist der abschließende zweite Teil an der Reihe.

 

Inspirationen und Anleihen

In der Science-Fiction-Szene der Fünfziger- bis Siebzigerjahre war es üblich, dass sich Künstler bei Kollegen Inspirationen holten, so dass gewisse Ideen sozusagen im Kreis liefen und teils über Jahrzehnte nachverfolgt werden können. Eine detektivische Recherche nach einzelnen Bestandteilen führt dabei zu wunderlichen Entdeckungen. Dieses »Abkupfern« von kleinen oder größeren Bildbestandteilen, um selbst effizienter arbeiten zu können, ist im Grunde nichts anderes als das, was auch heutzutage geschieht.

Wie war das bei Johnny Bruck?

Da er oft nur wenige Stunden Zeit zur Inspiration für ein neues Titelbild hatte, bevor er wieder an die Produktion ging, blieb ihm oft nichts anderes übrig, als sich woanders Ideen zu holen. Bruck hatte zu diesem Behuf einen Vorrat an Vorlagen angelegt, die er vor allem aus amerikanischen, sogenannten Männermagazinen ausschnitt. Diese erwarb er günstig und gebraucht in einem Münchner Laden. Die Magazine enthielten vor allem militärisch geprägte Abenteuergeschichten und wurden von amerikanischen Soldaten gelesen, die in München stationiert waren.

Wie bei Rubens gehören Kopien ganzer Szenarien zu den offensichtlichsten Übernahmen. Das kam bei Bruck verhältnismäßig selten vor, beispielsweise bei PERRY RHODAN 1655. Meist veränderte er seine Vorlagen sehr deutlich, auch wenn er sich an die Ideen anderer Künstler hielt, wie beispielsweise  bei PERRY RHODAN 118.

Das Verwenden von ausgeschnittenem Fremdmaterial, das man auf eigene Bilder klebt, nennt man Collage. Bruck nutzte diese Technik nicht zu selten, wohl auch, um schnell und bequem Fläche zu gewinnen, die er dann nicht mehr selbst bemalen musste. Schon das zweite Titelbild für die PERRY RHODAN-Serie enthielt ausgeschnittene Elemente  Sie passen perfekt zum dramatischen Entwurf, in dessen Mittelpunkt der »Rote Knopf« liegt, der, wenn gedrückt, den Atomkrieg entfesselt.

Auf späteren Titelbildern verarbeitete er großformatige Landschaftskalender, die Anzeigenserie eines chemischen Konzerns, Fotos historischer Gebäude, von Turbinen und technischen Gegenständen, und immer wieder Coverausschnitte von Männermagazinen. Heutzutage ziehen Künstler solche Bilder und Bildbestandteile aus dem Internet.

 

Wiederholung von Bildelementen

Besonders charakteristische oder gut gelungene Elemente wurden von Bruck als Skizze oder Schablone »gespeichert« und wiederverwendet. Dazu gehört beispielsweise die Dreiergruppe von Humanoiden, die dem Betrachter entgegenkommt. Spezifischer wird es beim »tretenden Mann«, der vom Cover eines Männermagazins stammt und sowohl als Tuschezeichnungen als auch als Titelbild verwendet wurde, so für die Bände163, 231 (Innenillustration), 314, 898 und 1083 oder ATLAN 136. Für seine Titelbilder verwendete Bruck zumeist mehrere Bestandteile, die gelegentlich wie Bausteine zusammengesteckt wurden.

Ein gängiges Mittel von Titelbildzeichnern zu Brucks Zeiten war, wenig sagende, aber einfach zu zeichnende Konstellationen mit Science-Fiction-typischen Elementen zu versehen. So wusste das Publikum sofort, worum es ging. Raumanzüge mit riesigen Helmen gehörten dazu, Strahlenwaffen, merkwürdige Objekte als Raumschiffe, absurde Aliens, das Fenster in den Weltraum, Roboter und dergleichen mehr.

Bruck nutzte all diese, aber auch andere Elemente. Dazu gehörten der häufig auftauchende Ringplanet, eine atmosphärenlose Mondoberfläche, aufrecht stehende Raketen, dazu geologische Erscheinungen wie Stalagmiten oder Hoodoos (Felsnadeln) an den unmöglichsten Stellen.

Seit vielen Jahren kursieren in verschiedenen Science-Fiction-Foren immer wieder neu entdeckte Vorbilder und Inspirationen für Titelbilder von Johnny Bruck. Selbst der Verfasser dieses Artikels hat schon Zehntausenden von Quellen hinterhergespürt, um die Ursprünge seiner Titelbilder zu erforschen. Vor allem Laien sind enttäuscht, wenn sie herausfinden, dass das, was sie für grandiose Inspirationen gehalten haben, dann doch nicht gänzlich von Bruck stammt.

Aber das ist zu kurz gesehen. Titelbildzeichner sind keine eremitischen, romantischen Meistermaler, die im Elfenbeinturm der hehren Kunst opfern. Auch müssen sie nicht für jedes einzelne Bild »das Rad neu erfinden«. Sie sind hart arbeitende Leute zwischen Auftragskunst und Handwerk mit dem Auftrag, den (potenziellen) Leser neugierig auf den Heftinhalt zu machen. Betrachtet man den immensen Output von Bruck, der nach seinem Tod nicht von einem, sondern von einem Team von Zeichnern ersetzt wurde, kann man den Druck ermessen, unter dem er stand. Seine Bilder waren unverkennbar und das Aushängeschild nicht nur der PERRY RHODAN-Serie über Jahrzehnte hinweg.

Selbst das Offenlegen einiger seiner »Tricks«, die er zur schnelleren Produktion anwenden musste, lassen keinen Zweifel daran: Johnny Bruck war der Meister der Science-Fiction-Illustration.

Frank G. Gerigk

Perry Rhodan 3116: Flug in die Freiheit
Kai Hirdt
PERRY RHODAN DIGITAL
ISBN/EAN: 9783845361161
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Perry Rhodan 3116: Flug in die Freiheit
Kai Hirdt
Pabel Moewig Verlag KG
ISBN/EAN: 9999900006322