Der »Mythos«-Zyklus und die Medien – Teil eins Eine Kolumne von Alexandra Trinley über gesellschaftliche Serienhintergründe

30. Juli 2021

Im PERRY RHODAN-Roman »Wo die Äonenuhren schlagen« (Band 3124, geschrieben von Oliver Fröhlich) wurde auch ein umfangreicher Beitrag von Alexandra Trinley veröffentlicht – als ein Teil des aktuellen PERRY RHODAN-Reports. In ihrem Artikel schreibt die Autorin darüber, wie im abgelaufenen »Mythos«-Zyklus der PERRY RODAN-Serie gesellschaftliche Themen verarbeitet wurden.

Diesen Beitrag dokumentieren wir auch an dieser Stelle. Wegen seines Umfangs bringen wir ihn in drei Teilen: heute Teil eins, morgen Teil zwei, übermorgen Teil drei.

 

Der Mythos im »Mythos«-Zyklus

Im ersten Zyklus nach Band 3000 wurde Perry Rhodan in einen Konflikt verwickelt, als dessen Vorbild der Exposéautor Wim Vandemaan etwas nannte, das aus dem Ersten Weltkrieg stammt: den Mythos von der Kriegsbegeisterung der kaiserlichen Untertanen.

Untermauert wurde der Mythos vom angeblichen Kriegsrausch durch die Stagnation der Zeit und angeblich mangelndes Wissen über die Grausamkeit des Kriegs, dazu gab es die Beweisfotos winkender Soldaten. Was verändert sich, wenn man weiß, dass damals in Deutschland nur vier Fotografen die Lizenz hatten, Soldaten zu fotografieren, und dass »Nestbeschmutzer« mit schweren Nachteilen zu rechnen hatten? Dieses Aha-Erlebnis, so Vandemaan, sei die Vorlage für den »Mythos«-Zyklus gewesen.

Mythenbildungen durch Medien und lancierte Information sind nicht neu – aber das Kaiserreich als Vorlage? Wo bleibt der viel beschworene Zeitgeist, den PERRY RHODAN angeblich abbildet? Frühere Serienabschnitte sind Spiegelungen des Kalten Kriegs, der Globalisierung, der Mechanisierung und so weiter, und dadurch für Leser*innen zugänglich. Ist die Serie alt geworden?

Die reale Mythenbildung ist nicht nur älter als das Kaiserreich, sondern steht auch durch die moderne Medienvielfalt in voller Blüte. In die PERRY RHODAN-Erzählung gelangte sie in Form der Machenschaften der Cairaner, die das als bedrohlich eingestufte Terra aus der kollektiven Erinnerung löschten. Als Perry Rhodan nach einem Zeitsprung die neu geschaffene Wirklichkeit erforscht, sind er, Terra und alles ihm Vertraute offiziell zur Lügenlegende geworden. Der Name des Zyklus bezeichnete kein neues Ziel, sondern etwas, das berichtigt werden musste.

Das sorgte für gewisse Irritationen bei den Leser*innen. Als die Cairaner nach hundert Bänden abzogen, war die Erleichterung groß – bei den Milchstraßenvölkern, die sich wieder selbst bestimmen wollten, aber auch bei vielen Fans der Serie. Schauplatzwechsel, willkürliches Austauschen und eine wenig emotionale Charakterzeichnung hatten bewirkt, dass ein Fake zum Emotionalsten gehörte, was der Zyklus zu bieten hatte. War das erstaunlich? Ach was! Es bildete unsere Medienkultur ab.

Dabei musste der Zyklus ohne entsprechend ausgeprägte Anlaufstellen auskommen, weil »ex negativo« vorgegangen wurde, also über Fehlendes: Die Cairaner stellten sich als gut hin, begeisterten die Leser aber nicht. Anders als der Medienkaiser Wilhelm II., der sich auf Postkarten und Kaffeeservice unter die Leute bringen ließ, teilen die Vierhändigen ihren Glanz nicht, sondern leben ähnlich den Römern in geschlossener Gesellschaft.

Eine Cairanerin als Selfie-Queen, ein Konsul, für dessen Selbstdarstellung Fans durchs Feuer gehen, Medienleute in Gewissenskonflikten – das wäre in den Augen mancher Leser die »positivere« Variante der Handlung gewesen. Stattdessen war nahezu alles nichtig und ungültig. Perry Rhodan wurde verabscheut, seine Beziehungen zu Freunden und Verbündeten entwertet, Terra und Luna waren weg. Der Held war kein Hoffnungsträger mehr. Von einem echten Mythos erwartet man Erhebendes, Empörendes, aber kein Nichts.

Die gleichgültige Grausamkeit der Cairaner tut ein Übriges. Die paranoide Atmosphäre der ersten Bände des Zyklus beschwört das Dritte Reich herauf, der Entzug von Lebenskraft durch die Ausweglosen Straßen entspricht den Konzentrationslagern.

Unangenehmerweise entspricht dieses Aussaugen der Milchstraße der Wertschöpfung der Industrieländer, die den weitaus größeren Rest der Welt ausbeuten.

Auch die heitere Gelassenheit der Bösewichte, die vom Leid der verbrauchten Lebewesen gar nicht berührt werden, ist unsympathisch und dabei unangenehm nah –denn sie spiegelt auf jeden Fall den Zeitgeist. Wer will schon wissen, woher das Fleisch auf dem Teller und die Metalle im Handy kommen?