Auf der Jagd nach Heftroman-Klassikern – Teil eins Eine Kolumne von Hermann Ritter über seine Rettungsaktion in Rastatt

9. Januar 2021

Im PERRY RHODAN-Roman »Das Meisterstück« (Band 3096, geschrieben von Michelle Stern), war ein Artikel von Hermann Ritter enthalten – als Teil des aktuellen PERRY RHODAN-Reports. Der Autor schrieb mehrere Romane für PERRY RHODAN-Miniserien und PERRY RHODAN NEO, war jahrelang für die PERRY RHODAN-Clubnachrichten tätig und kennt sich sehr gut mit Science Fiction aus.

Seinen Artikel wollen wir auch an dieser Stelle zur Verfügung stellen. Wegen seines Umfangs kommt er in zwei Teilen: heute Teil eins, morgen Teil zwei.

 

Es ist 5.55 Uhr am Morgen. Ich stehe ohne Frühstück und Kaffee im Bauch vor dem Werkstor des Pabel-Moewig Verlags in Rastatt. Mein Gewährsmann soll hier gleich aufschlagen, um mich unter das Dach in das Archiv zu bringen. Heute sollen es 39 Grad werden, also »oben« wohl eher 42 Grad.

Dazu kann man in vielen Gängen nur gebückt arbeiten – wenn man nicht damit beschäftigt ist, sich die Nase zu putzen, denn der Staub in Archiven ist uralt und gefährlich. Auf dem Dachboden sind hier und da Querbalken in Stirnhöhe eingezogen; das Licht funktioniert nur flackernd, und die wenigen durchsichtigen Öffnungen im Dach bestehen aus einer Plastiksorte, die wahrscheinlich in den vergangenen Jahrzehnten nicht gereinigt worden ist. Man kann sich vorstellen, dass es mittelalterliche Bergwerke gibt, gegen die mein heutiger Arbeitsplatz paradiesisch wirkt.

Dazu kommt, dass ich nicht in meiner ostwestfälischen Heimat bin, sondern noch hinter Karlsruhe und damit beinahe in Frankreich und am Mittelmeer. Gestern war ich sechs Stunden auf der Autobahn unterwegs, heute stehen mir weitere sechs Stunden Rückfahrt bevor, das alles in einem geliehenen Transporter, nicht in einem schnittigen Rennwagen.

Ich weiß jetzt schon: Es wird Stunden dauern, bis jemand von der PERRY RHODAN-Redaktion vorbeikommt – wahrscheinlich nach einem Frühstück samt Kaffee und ohne sechsstündige Anreise. Warum tue ich mir das an?

Eine Stimme in mir sagt: »Wegen der Nudeln zu Mittag mit Klaus« (Frick, Anm. d. Red.), aber das ist nicht die ganze Antwort. Es ist schon richtig, dass ich in den letzten fünfundzwanzig Jahren gefühlt jährlich zu Besuch in der Redaktion war – als Autor, als Clubnachrichten-Redakteur, als PRFZ-Gründer oder -Vorstand, außerdem zu einem Firmenjubiläum (als Auktionator) und auf Vor- oder Nachtreffen zu gemeinsam veranstalteten Cons.

Ein Sanitäter nach dem Erstschlag

Diesmal ist es anders: Es ist wegen des Archivs. Denn alle Redaktionen des Verlags, außer der von PERRY RHODAN, ziehen nach Hamburg. Das ist kein Geheimnis, man erfährt das aus der Presse und kann es online nachlesen. Für die Betroffenen ist das nicht lustig, für das Archiv auch nicht – aber Archive schweigen.

Für mich als Historiker, Sammler und Fan sind Archive aber noch mehr: Sie sind ein Hort der Vergangenheit, in dem sich behütenswerte Schätze befinden. Mit ihnen würde Geschichte verlorengehen; eine Verlags- oder Roman-Geschichte, die man nur schreiben kann, wenn die Quellen noch existieren. Und wenn es um das Archiv von Pabel-Moewig geht, kennt sich außer den engsten Verlagsmitarbeitenden niemand besser aus als ich.

In meinem Leben bin ich dieses Archiv für die Redaktion schon mehrmals durchgegangen. Einmal, weil ich erfassen sollte, was hier alles gelagert ist, ein anderes Mal, um eine Datenschutz-Einschätzung über die Entsorgung eines großen Teils des Konvoluts zu erstellen.

Man darf nicht vergessen: nicht alles, was hier in den letzten Jahrzehnten gedruckt wurde, könnte man in einem Kindergarten auslegen – und damit meine ich nicht den »Landser«. Damals haben wir bergeweise Dinge gekennzeichnet, die in den Müll konnten. Sollte es irgendwo ein Archiv für Rätselhefte geben – ich habe sie alle vernichten lassen.

Auch das gehört dazu: Begrenzter Platz heißt, Entscheidungen zu treffen. Manchmal kommt man sich dabei wie ein Sanitäter nach dem atomaren Erstschlag vor, der entscheiden muss, welche Patienten keine Hilfe mehr erhalten und welche es noch wert sind, dass man sich mit ihnen beschäftigt.

Suche in labyrinthischen Gängen

Ich konnte mich daher anbieten, die für die »Phantastische Bibliothek« in Wetzlar wichtigen Heftroman-Bestände zu sichern. Und das war eine Menge. Immerhin wurde der Pabel-Verlag kurz nach dem Zweiten Weltkrieg gegründet, das Verlagsgebäude (dessen Silhouette in den siebziger Jahren Briefe aus dem Verlag schmückte) ist über sechzig Jahre alt.

Eine Menge Verlagsgeschichte lagert hier. Der Moewig-Verlag ist sogar schon 120 Jahre alt, und nach der Fusion zu VPM gab es einen dritten Zweig, den man gerne vergisst: Nach fast vierzig Jahren eigener Existenz wurde der Zauberkreis-Verlag, ebenfalls aus Rastatt, von Pabel gekauft, 1987 dann aufgelöst. Hier veröffentlichten zum Beispiel H. G. Francis, Uwe Anton, Wolfgang Kehl, Andreas Brandhorst, Marianne Ehrig und Hans Peschke, Thomas R. P. Mielke und Ronald M. Hahn.

Auch dieses Archiv befindet sich hier im Gebäude – ich habe mal eine Trennwand eingerissen, um es zu finden. Ich glaube, das macht man nicht in Archiven, von daher schildere ich die weiteren Details hier besser nicht.

Zurück zum Thema, zu Pabel, Moewig, Zauberkreis und ihren gemeinsamen Benennungen und Umbenennungen. Das sind Unmengen von Heftromanen und Taschenbüchern, dazu Comics, Risszeichnungsbände, Sammelbilder. Die Vorstellung, dass all das vernichtet werden könnte, bereitete mir schlaflose Nächte. Also bot ich Hilfe an.

Außerdem kannte ich mich in den labyrinthischen Gängen aus. Ich wusste, was in den Verschlägen und Kriechgängen lagerte, hatte auf dem Bauch krabbelnd schon »Kommissar X«-Leihbücher entdeckt, mit einem Spatel Bilderrahmen mit Originalen von Johnny Bruck auseinandergehebelt, war an »Bussi Bär«-Kisten vorbei bis zu diversen Astrologie- und Fußballführern in hinterste Ecken vorgedrungen, um mir erst den Kopf anzuschlagen, dann aber einen Stapel alter »ZBV«-Romane zu finden.

Und dann musste ich eine halbe Minute innehalten, um daran zu denken, wie ich mit zwölf Jahren die ersten Taschenbücher davon in die Finger bekam. Ich kann heute noch »Hannibal Othello Xerxes Utan« sagen und glaube, dass »Hyperkode Wüstenfuchs« zu den besten Namen gehört, die man einem Roman geben kann. Guter, alter Handgranaten-Herbert.