Der Redakteur erinnert sich Eine Tagung in Heiligendamm – Teil 2

2. Juni 2020

Leider fand ich den ersten Vortrag nach der Mittagspause nicht so spannend. Dabei hatte sich Dr. Thomas Schneider – zu jener Zeit gewissermaßen der Chefjournalist im Vorstand unseres Konzerns – ein starkes Thema ausgesucht: Er sprach über »Print – Allgemeine Entwicklung und neue Ideen vor dem Hintergrund eines gesättigten Marktes«. Er betonte, dass das Unternehmen trotz aller Entwicklungen im Internet seine Zukunft im Print-Bereich sehe.

In weiteren Vorträgen ging es um die Situation auf dem englischen Medienmarkt, wo sich der Bauer-Konzern in jüngster Zeit stark eingekauft hatte, und in Polen, wo Bauer seit den frühen 90er-Jahren aktiv war. Die Vorträge waren witzig und informativ, mit kurzen Filmen und vielen Bildern, und sie zeigten, wie sich in anderen Ländern die Branche entwickelte. Zwar konnte ich davon nichts für PERRY RHODAN ableiten, aber ich sah es als eine schöne Weiterbildung.

Ein wenig skurril fand ich später einen Vortrag über die Internet-Aktivitäten des Verlages. Man merkte, dass die Verantwortlichen nichts von dem wussten, was wir bei PERRY RHODAN machten. Begriffe wie E-Books fielen nicht, es ging stets um eine Eins-zu-Eins-Verlagerung bisheriger Zeitschriften-Inhalte ins Internet. Aber es wurde sehr deutlich geäußert, dass man sich stärker im Internet engagieren wolle. Es seien Business-Pläne in Arbeit, wie uns erläutert wurde. Aber so richtig konkret wurde man in diesem April 2008 noch nicht.

Damit endete das offizielle Programm.

Ich ging noch einmal spazieren und ließ das Panorama der Ostseeküste erneut auf mich wirken, dann stand auch schon das Abendessen an. Dabei kam ich mit einem Kollegen aus Polen ins Gespräch. Ich erzählte ihm von PERRY RHODAN und dass wir einen Lizenzpartner für Polen suchen würden. Er zeigte sich interessiert, er sei aber nicht zuständig, und ich solle ihm Informationsmaterial schicken. Anschließend tauschten wir Visitenkarten aus – leider wurde im »Nachgang« nichts aus der guten Idee.

Nach dem Abendessen verlagerte sich das Meiste in die Nelson-Bar im Hotel. Wie es sich bei solchen Gelegenheiten ergibt, kam ich mit verschiedenen Menschen ins Gespräch. Interessant fand ich beispielsweise die Chefredakteurin der Zeitschrift »lecker«, eine Zeitschrift für Essen und Trinken also, mit der ich an der Theke ins Gespräch verwickelt wurde. Es gab keinerlei Berührungspunkte zwischen ihrem Heft und PERRY RHODAN, trotzdem fanden wir reichhaltigen Gesprächsstoff. Manche Überlegungen wie etwa zum Aufbau eines eigenen OnlineShops waren bei ihr ähnlich ausgeprägt wie bei mir.

Noch später unterhielt ich mich bei einem Bier mit dem Geschäftsleiter der Verlagsunion. Die konzerneigene Vertriebsfirma saß in Wiesbaden und war seit Jahrzehnten für PERRY RHODAN verantwortlich. Der Geschäftsleiter fand unsere aktuellen Aktivitäten gut, und er lobte vor allem PERRY RHODAN-Action. Nicht inhaltlich, denn er hatte keinen Roman gelesen – aber er mochte, dass wir immer wieder »neue Impulse für den Handel« lieferten. Schließlich seien überall die Auflagen im Rückgang, da seien neue Aktivitäten wichtig und hilfreich.

Wir müssten mehr mit PERRY RHODAN im Handel machen, schlug er vor. Er wolle mehr Informationen von mir, die er an seine Außendienstmitarbeiter weiterleiten könnte. Beispielsweise benötige er »werbliche Aussagen« zu den neuen Aktivitäten bei PERRY RHODAN. Unter anderem wüssten die Einzelhändler ja meist nicht, dass es ein PR-Computerspiel gebe.

So verstrich der Abend durchaus sinnvoll: Ich trank Bier mit Leuten aus derselben Firma, bei denen sich vielleicht die Chance ergab, enger zusammenzuarbeiten.

Der Samstagmorgen war durchaus anstrengend. Das Programm begann früh, immerhin konnten wir zuvor etwas essen und einen kräftigen Kaffee trinken. Dann aber saßen wir schon wieder im Konferenzraum. Der abschließende Vortrag der Tagung war eher amüsant: Prof. Dr. Rudolf Taschner aus Wien sprach über »Die Erfindung der Zeit« – dabei ging es nicht um Zeitmaschinen, was mich als Science-Fiction-Fan gefreut hätte, und auch nicht um den Zeitdruck, unter dem Redakteure oft stehen, sondern um die Zeit im Allgemeinen.

Danach hatte ich Glück und konnte ich mich zwei Kollegen anschließen, die in Hamburg wohnten und nicht mit dem Bus, sondern mit dem Auto zur Tagung angereist waren. Dadurch konnte ich auf den Bus von Heiligendamm nach Hamburg verzichten und erreichte flott einen Zug.

Ich war so früher daheim als die Kolleginnen und Kollegen, die mit dem Flugzeug aus Nord- nach Süddeutschland reisten. Und ich hatte die Gelegenheit, mir während der Rückfahrt noch einmal die Gespräche in Heiligendamm durch den Kopf gehen zu lassen und einen aktuellen Science-Fiction-Roman zu lesen.