Ganz normale Leute in den USA: Es gibt Probleme in der Schule, die Arbeit nervt, und dann beginnt bei der Tochter auch noch der Arm zu jucken. So gewöhnlich und harmlos beginnt die Comic-Serie »Family Tree«, die in den USA als Serie erschien und in deutscher Sprache vom Splitter-Verlag in Form von drei Hardcover-Bänden veröffentlicht worden ist. Recht schnell entwickelt sich der Comic zu einer packenden Mixtur aus Horror und Science Fiction, und wer mag, kann ihn auch als eine Serie über familiäre Probleme betrachten …
Offensichtlich scheinen sich Menschen in Bäume zu verwandeln. Wurzeln und Äste wachsen aus den Armen oder dem Rücken, die Veränderung kann nicht rückgängig gemacht werden. Und während die Betroffenen verzweifelt nach Hilfe suchen, wittern andere Leute ihre Chance – oder die Armee wird mobilisiert.
Die Geschichte wird auf mehreren Zeitebenen erzählt. Sie zeigt in spannender Weise auf, wie sich eine unheimliche Entwicklung immer weiter steigert, bis sie ihren konsequenten Höhepunkt erreicht.
Der erfolgreiche Comic-Autor Jeff Lemire lässt auch bei »Family Tree« spüren, wie gut er zu texten weiß. Seine Figuren verhalten sich glaubhaft, und selbst die Horror-Effekte durch Wurzeln und Äste werden so in die Handlung gebracht, dass sie nicht absurd wirken. Er stellt eine Familie in den Vordergrund, um die herum er die eigentliche Geschichte gruppiert – weltumspannende Probleme treten so in den Hintergrund. Damit bleibt die Geschichte eng an den Figuren und lässt einen als Leser stets daran teilhaben.
Künstlerisch überzeugt der Comic zumeist ebenfalls. Die Zeichnungen sind im Prinzip realistisch, haben aber einen Hang zum Verzerrten. Damit zieht von Anfang an – und das bei allen Künstlern, die an der Serie mitgearbeitet haben – eine düster-phantastische Note in die Handlung ein. Man spürt ab dem ersten Bild, dass etwas nicht stimmt und etwas passiert, das nicht gut ist. Vor allem aber die wuchtigen Bäume und die veränderten Familienangehörigen wissen zu überzeugen; das ist Science Fiction, wie man sie so sonst extrem selten oder gar nie sieht.
Um es klar zu sagen: Wer rasante und schnörkellos erzählte Comics mag, die phantastische Elemente aufweisen, die man sowohl zur Science Fiction als auch zum Horror rechnen könnte, für den ist »Family Tree« sicher eine Empfehlung. Alle drei Bände sind spannend, und ich konnte sie bei der Lektüre kaum aus der Hand legen. (Ich empfehle einen Blick auf die Leseprobe, die auf der Splitter-Seite zur Verfügung gestellt wird. Das hilft auf jeden Fall weiter.)
Die Bücher wurden hierzulande im Format des amerikanischen Comic-Books veröffentlicht, sind also kleiner als ein klassisches Album. Sie umfassen 96 oder 104 Seiten, sind durchgehend farbig und kosten jeweils 19,80 Euro.
Beim Splitter-Verlag gibt es auch eine Leseprobe zum reinschnuppern.
Klaus N. Frick
