Die Redaktion empfiehlt: »In einer anderen Welt« von Jo Walton Ungewöhnliche Fantasy mit Anspruch

30. August 2016

Um es vorwegzunehmen: Wer aufgrund der Verlags-Informationen und des Rückentextes glaubt, bei »In einer anderen Welt« handle es sich um konventionelle Fantasy mit Elfen und Magie, der irrt sich. Der Roman hat nicht zu Unrecht eine Reihe von Genre-Preisen gewonnen – aber er ist alles andere als ein »normaler« Fantasy-Roman.

Jo Walton erzählt eine ungewöhnliche Geschichte, die mehr von Science-Fiction- und Fantasy-Literatur handelt und wie diese auf junge Menschen wirken kann, als dass sie ein Familiendrama mit Elfen und Magie vorstellt. Die Hauptfigur hat zwar magische Konflikte zu lösen, aber wichtiger scheint in ihrem Leben zu sein, welchen Roman sie gerade liest und was im örtlichen Science-Fiction-Lesezirkel los ist.

Doch erst einmal der Reihe nach ... Die Ich-Erzählerin ist ein Mädchen, das nicht so richtig »normal« ist.  Morwenna ist magisch begabt, zumindest kann sie Elfen sehen und mit ihnen kommunizieren. Sie glaubt, dass ihre Mutter – die sie für eine böse Frau hält – ihr nachstellt, und ist deshalb sehr froh, dass sie in einem Mädchen-Internat Zuflucht finden kann.

Morwenna fühlt sich dort dennoch nicht wohl. Das liegt nicht nur an den zickigen Schülerinnen, sondern auch daran, dass sie immer von ihrer Heimat träumt – Wales ist für sie nicht nur eine Erinnerung, sondern ebenso ein Haltepunkt für Elfen und magische Verbindungen. Sie nutzt deshalb jede Gelegenheit, gewisse Verwandte zu besuchen. Die Magie, mit der sie wirken kann, setzt sie nur behutsam ein.

Das wichtigste Ereignis im Leben der jungen Frau ist allerdings der Kontakt, den sie aufbauen kann – sie nimmt an einem Literatur-Treffen teil: Science-Fiction- und Fantasy-Fans kommen zusammen, es ist eine Art Literatur-Club. Und hier kann sie sich endlich über ihr Hobby austauschen, in einem Ausmaß, das sie bisher nicht kannte. Sie lernt Autoren und Fans kennen, und sie verguckt sich ein wenig in einen Jugendlichen, der sich für Science Fiction interessiert und den sie attraktiv findet.

Irgendwie erklärt sich dadurch der Originaltitel des Romans: »Among Others« bezieht sich wohl kaum auf die Elfen, sondern eher darauf, dass eine junge Frau die Gemeinschaft von anderen findet – wobei sich Morwenna nicht sicher ist, ob ihre Magie nicht daran schuld ist, dass sich der Literaturzirkel bildete ... Aus der Angst heraus, dass sie mit ihrer Magie vielleicht Menschen manipulieren könnte, die sie in Wirklichkeit schätzt, entwickelt sie ein leicht gestörtes Verhältnis zu anderen Menschen.

Das hört sich jetzt vielleicht ein wenig verworren an. Tatsächlich aber handelt es sich bei »In einer anderen Welt« um einen ungewöhnlichen Entwicklungsroman, der sich langsam steigert, der über keinerlei »Action« verfügt und sich vor allem über Beobachtungen und Gespräche durch die Handlung bewegt. Das widerspricht häufig den gewohnten Literatur-Klischees, die man als erfahrener Leser kennt, macht aber gerade deshalb um so mehr Spaß. Man muss sich auf den Roman einlassen, vor allem dann, wenn man eigentlich etwas anderes erwartet – aber er zieht einen Science-Fiction- und Fantasy-Fan unweigerlich in seinen Bann.

Literatur kann Tore zu anderen Welten öffnen, nicht nur im Sinne von klassischer Magie. Das belegt dieser wunderbare Fantasy- oder auch Phantastik-Roman in schönster Weise. Ich fühlte mich hervorragend unterhalten und empfehle ihn den Lesern, die wissen, wie es sich anfühlt, in fremde Welten abzutauchen.

Erschienen ist der Roman als Taschenbuch bei Blanvalet. Das Taschenbuch umfasst 416 Seiten und kostet 9,99 Euro. Mithilfe der ISBN 978-3-7341-6068-4 kann man es in jeder Buchhandlung bestellen, ebenso bei Versendern wie Amazon.
Selbstverständlich gibt es eine E-Book-Ausgabe, unter anderem für den Kindle. Diese kostet 4,99 Euro. Wer mag, kann übrigens auch die deutsche Erstausgabe bestellen, die es als schönes Paperback im Golkonda-Verlag gab – diese Version gibt es für 14,90 Euro.
 

Klaus N. Frick