Zeiten und Welten bei PERRY RHODAN NEO (Teil eins) Ein Werkstattbericht von Michael H. Buchholz

24. Oktober 2016

Vorbemerkung der Redaktion: Als einer von zwei Exposéautoren steuert Michael H. Buchholz die Geschicke von PERRY RHODAN NEO. Vor allem in jüngster Vergangenheit zeichneten sich seine Romane durch originelle Spielereien mit der Zeit und ihren Erscheinungen aus.
Davon handelt auch sein Werkstattbericht. Wegen seiner Länge haben wir ihn in drei Teile gegliedert. Heute ist Teil eins dran, morgen folgt Teil zwei, danach kommt Teil drei.

Als ich daranging, mir die ersten Gedanken zu PERRY RHODAN NEO 116 (»Sprungsteine der Zeit«) über das Exposé hinaus zu machen, freute ich mich besonders auf das kleine Atlan-Zeitabenteuer gleich zu Beginn des Romans.

Ich wollte die Begebenheit im Jahr 1864 ganz im Stil der kneifelschen Taschenbücher erzählen, was vor allem vor der Niederschrift eines bedeutete: umfassende Recherche. Ich wusste, dass Hans Kneifel seinerzeit stets sehr gewissenhaft vorgegangen war und Land und Leute sozusagen genau bekannt hatte. Dem wollte ich nicht nachstehen. Daher war es mir ein Anliegen, an dieser Stelle bloß nicht zu schlampen. Und das hieß: kopfüber hinein in die gar nicht mal so weit entfernte Vergangenheit.

Das Jahr 1864 war nur deshalb – von mir selbst – ins Expo geschrieben worden, weil es das vorletzte Jahr des amerikanischen Bürgerkrieges war. Und mehr als den losen Gedanken »das könnte spannend sein« verband ich noch nicht mit dieser Zeit.

Umso erstaunter war ich, als ich verblüfft feststellte, dass dieses Jahr ein wahres Kriegsjahr für unseren Planeten war. Überall wurde gekämpft, nicht nur in den zerbrochenen nordamerikanischen Staaten und Mexiko. Auch Teile des heutigen Deutschlands fochten in diesem Jahr gegen Dänemark, sogar Menschen meiner Heimatstadt Hannover waren in diesen Konflikt verwickelt. In Indien sprachen die Waffen, in China, in Afrika – es war, als habe eine Art kollektiver Irrsinn die Menschheit rund um den Globus ergriffen.
Mir wurde klar, dass Atlan zu dieser Zeit garantiert wach gewesen sein musste. Vermutlich eilte er rund um den Erdball von Krisenherd zu Krisenherd.

Und auffällig: Neben dem Kriegsgeschehen und sicher davon inspiriert explodierte die Wissenschaft – besonders in Europa – geradezu mit immer neuen Entdeckungen auf allen möglichen Fachgebieten, besonders dem der Elektrizität. Auch dabei hätte Atlan sicher seine Hände im Spiel gehabt. Seinem Charakter entsprechend, würde er technische Anregungen an geeignete Fachleute gegeben haben. Auf keinen Fall hätte er diese bewegte Epoche einfach schlafend zugebracht.

Mir kam das sehr entgegen, denn ich hatte ohnehin nur für zwei Kapitel Platz, um das 1864er-Erlebnis zu beschreiben. Ein Erweckungsszenario in der Tiefseekuppel konnte ich mir somit sparen. Atlan war schon längst, und das vermutlich seit Jahren, unterwegs und versuchte »seiner Menschheit« zu helfen.

Beim Lesen über den Verlauf des Bürgerkrieges blieb ich aus einem mir nicht mehr erinnerten Grund an der Stadt Vicksburg hängen. Vielleicht deswegen, weil ich kurz zuvor die »Amerika«-Heftromane meines Kollegen und Freundes Jörg Kastner gelesen hatte, von denen einer im Jahr 1884 und nahe Vicksburg spielt.

Bei der Recherche zum Kriegsgeschehen rund um diese Stadt stieß ich auf die reale Person eines Deutschen namens Peter Joseph Osterhaus. Dieser Mann hatte eine beispiellose Karriere hinter sich. Als politischer Flüchtling aus Deutschland hatte er sich bis zum General der Nordstaaten hochgearbeitet. Fasziniert las ich einen Teil seiner Lebensgeschichte.

Eine Begebenheit erinnerte förmlich an Geschichten von Karl May und passte zu Atlan wie die sprichwörtliche Faust aufs Auge. In der französischen Hafenstadt Le Havre nämlich entkam Osterhaus 1849 nur knapp seinen Verfolgern, deutschen Geheimagenten, die ihm wegen angeblichen Hochverrats eng auf den Fersen waren. Zwei Unbekannte befreiten Osterhaus damals aus seiner misslichen Lage. Er konnte sich auf die deutsche Bark ARGO retten, die noch in derselben nebligen Nacht nach New York auslief.

Die Linie von der Tiefseekuppel  über Le Havre bis nach London entstand vor meinen Augen, und so machte ich den gerade in Le Havre eintreffenden Atlan (gemeinsam mit Rico) zu den beiden »unbekannten« Rettern jenes Peter Joseph Osterhaus. Atlans Reise ging nach diesem nächtlichen Abenteuer hingegen weiter, sie führte ihn nach London, wo sich gerade zu diesem Zeitpunkt (1850) zwei Menschen aufhielten, die für die Wissenschaft unseres Planeten eine gewisse Bedeutung hatten: der englische Mathematiker George Boole und der Däne Sören Hjorth.

Boole ist für seine nach ihm benannte Algebra bekannt geworden, und Hjorth wurde wenig später der Erfinder des ersten Dynamos der Menschheit. Atlan traf sich mit beiden, und wir können nur mutmaßen, welche Hinweise er den beiden wohl mit auf den Weg gegeben hat.