Wie war das eigentlich »damals«? – Teil 1 Über die Anfänge der PERRY RHODAN-Serie und die beiden Gründungsautoren

26. August 2019

Rainer Eisfeld ist ein deutscher Politikwissenschaftler, der bis zu seiner Emeritierung im Jahr 2006 als Professor an der Universität Osnabrück tätig war. Er veröffentlichte zahlreiche Artikel und Bücher, er lehrte auch im kalifornischen Los Angeles.

Was weniger bekannt ist: Der 1941 geborene Rainer Eisfeld zählte zu den ersten Science-Fiction-Fans in Deutschland, die sich dem damals neu gegründeten Science Fiction Club Deutschland anschlossen. Er kannte die Autoren, die später PERRY RHODAN begründen sollten, also Walter Ernsting alias Clark Darlton und Karl-Herbert Scheer.

Eisfeld schrieb mehrere Bücher über Science Fiction: »Die Zukunft in der Tasche«, »Abschied von Weltraumopern« und »Zwischen Barsoom und Peenemünde«. Er übersetzte Romane und Kurzgeschichten von Autoren wie A. E. van Vogt. Als jemand, der die Fünfziger- und Sechzigerjahre miterlebte, ist seine Sicht auf die Anfänge von PERRY RHODAN sicher spannend.

Deshalb gibt es dieses Interview, das Klaus N. Frick führte und das im PERRY RHODAN-Report des Bandes 3020 veröffentlicht wurde. Wegen seiner Länge bringen wir es in drei Teilen: heute Teil eins, morgen Teil zwei, übermorgen Teil drei.

 

Frick: Reden wir zuerst über Walter Ernsting. Du bist 1955 in den Science Fiction Club Deutschland eingetreten, zwei Monate nach Gründung des Vereins durch Walter Ernsting, Julian Parr und Walter Spiegl. Hast du Walter dann beim sogenannten Urlaubs-Con 1956, in dem nicht mehr vorhandenen Dorf namens Dorf bei Bayrischzell, kennengelernt?

Eisfeld: Schon einige Monate vorher, im Mai. Damals war er knapp 35, ich gerade 15. Er war 1950 aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft entlassen worden und erst einmal bei Verwandten untergekommen – in Velken bei Ruppichteroth, einem kleinen Ort im Siegkreis. Der lag nur einen Katzensprung von Bonn entfernt, wo ich damals lebte. In Velken wohnten, nachdem sie geheiratet hatten, zunächst auch er und seine erste Frau Waltraud, »Trude« genannt, noch fast ein Jahr lang. Und dort besuchte ich beide.

Ein damals entstandenes Foto zeigt Walter und Trude vor ihrem VW-Käfer, Walter in Anzug und mit Hut – Hüte gehörten in den 50er-Jahren für deutsche Männer zur unverzichtbaren Ausstattung. Aber in gewisser Weise hast du, was »kennenlernen« angeht, schon recht: Wie der Zufall wollte, kraxelten wir während des Urlaubs-Cons bei Nieselregen und Nebel zusammen vom Wendelstein-Observatorium ins Tal. Dabei sprachen wir zum ersten Mal intensiver miteinander, wobei natürlich ich derjenige war, der die meiste Zeit zugehört hat …

 

Frick: Wie hast du Walter Ernsting dabei erlebt?

Eisfeld: Wenn Walter von seinem Ziel schwärmte, Science Fiction und Fandom in der Bundesrepublik heimisch zu machen, legte er eine jungenhafte Begeisterung an den Tag. Jeder Leiter eines Fähnleins Pfadfinder hätte ihn um seine Fähigkeit beneidet. Sein Enthusiasmus wirkte unfehlbar ansteckend.

Allerdings beschrieb er im Grunde mehr als ein Ziel. Er verkündete eine Mission, mit der er sich identifizierte, für die er kämpfte. Entsprechend unbedingt musste sein Standpunkt ausfallen, wenn es um den rechten Weg zur Verwirklichung dieser Mission ging. Er sprach und schrieb dann öffentlich ganz unumwunden von »seinem« SFCD (Zitat: »Wem die Richtung meines SFCD nicht passt, hätte nie einzutreten brauchen.«) Das sollte bald zu ersten Konflikten im Club führen – am Ende auch zwischen uns.

 

Frick: Kannst du das vielleicht etwas genauer beschreiben?

Eisfeld: Wie gesagt, ich wusste, dass Walter nach jahrelanger sowjetischer Kriegsgefangenschaft erst 1950 aus einem sibirischen Lager zurückgekehrt war. Mein eigener Vater war an der »Ostfront«, wie man nach wie vor zu sagen pflegte, gefallen. Ich kannte ihn nur von Fotos. Vielleicht war es nicht weiter verwunderlich, dass in dieser Phase Walter Ernsting zeitweise Züge eines Ersatzvaters für mich annahm.

Als Ziehvater des deutschen Fandoms verstand er sich ohnehin. Wurde seine Autorität infrage gestellt, tat er sich mit Kritik, mit anhaltender »Nörgelei« gar, schwer. Im Grunde wollte er nichts Geringeres, als der Entwicklung des Science-Fiction-Genres in der Bundesrepublik seinen Stempel ­aufzudrücken und gleichzeitig die größte Fan-Organisation Europas ins Leben zu rufen. Sogar der Idee eines geeinten Welt-Fandom unter deutscher Regie hing er ernsthaft an.

Er unterschätzte bei Weitem den Anarchismus der Fans. Und er unterschätzte, dass wir – mein eigener Jahrgang und die angrenzenden – gerade dabei waren, die Autorität unserer Eltern und Lehrer infrage zu stellen. In dieser Situation verspürten mehr und mehr junge Fans immer weniger Lust, sich fortwährend von Walter und anderen Berufsschriftstellern zeigen zu lassen, wo es langging.

 

Frick: Ein Stück Generationenkonflikt also?

Eisfeld: Ohne Zweifel.