Fasse Dich kurz! Eine 70er-Jahre-Kolumne von Falk-Ingo Klee

29. August 2017

Nicht wenige der im oder nach dem Millennium-Jahr geborene Jungmenschen scheinen ja zu denken, dass die 1970er-Jahre – technisch gesehen – direkt auf die Steinzeit folgten, dabei waren wir Best- und Senior-Ager die Ingenieure des Solsystems. Natürlich waren nur die wenigsten von uns gelernte Ingenieure, aber wir alle waren »Meister« – nein, nicht »Meister der Insel« sondern »Meister der Technik«, also Quasi-Ingenieure. In der Fabrik, im Handwerk oder die Menschen, die wie ich im Büro arbeiteten.

Virtuos handhabten wir Fernschreiber, Nasskopierer, Rohrpost, Matrizendrucker und Adrema, Gerätschaften, die kaum noch jemand kennt geschweige denn bedienen kann und die längst in Museen herumlungern. Was die echten Ingenieure betrifft, bildeten wir ATLAN- und PERRY RHODAN-Autoren keine Ausnahme. Meines Wissens war nur Peter Griese Ingenieur, nämlich Diplom-Ingenieur der Elektrotechnik.

Gut, die 70er-Jahre sind nicht nur vorheriges Jahrhundert, sondern sogar vorheriges Jahrtausend, aber so etwas wie die bemannte Mondlandung, die bereits am 20. Juli 1969 erfolgte, hat von »Next Generation« bisher niemand geschafft.

Auch auf der Erde selbst waren wir technisch Spitze. Unsere Dieselfahrzeuge waren selbst ohne Schummel-Software sogar noch dreckiger als heute. Obwohl – die Zahl der Personenwagen mit Selbstzünder unter der Haube war damals recht überschaubar. Vielleicht lag es daran, dass man nie wusste, ob ein Traktor um die Ecke bog oder ein Diesel-Auto, denn beide »nagelten« um die Wette.

Wie man munkelte, hatte diese Vorliebe der Landwirte für die Diesel-PKW einen praktischen Grund: Man konnte die Selbstzünder nämlich aus dem hofeigenen Tank mit dem deutlich günstigeren, weil steuerreduzierten Heizöl betanken. Dass es nicht lediglich böse Nachrede war, bewiesen die damals bei den Dieselfahrzeugen häufigen Tankkontrollen der Polizei. Was sich nach aufwendiger Analyse anhört, erwies sich praktisch als ganz einfacher Test: Heizöl war zur Unterscheidung von Diesel rot eingefärbt.

Auch die Leistung der »Heizöl-Ferraris«, wie die Selbstzünder-Autos im automobilen Sprachgebrauch genannt wurden, befriedigte eigentlich nur Traktorfahrer. Ein tonnenschweres Dickschiff wie der 200 D quälte sich aus seinem lärmenden Zwei-Liter-Motor magere 54 PS heraus.

Computer gab es zwar seinerzeit schon, aber nicht zur Kommunikation. Wir kommunizierten per Mail im wahrsten Sinne des Wortes. Da musste der Text nicht verschlüsselt werden, um Phishing und Datenklau zu verhindern  Wir kuvertierten und frankierten den Brief und zack, war er oft schon am anderen Tag beim Empfänger, was in etwa der damaligen Lichtgeschwindigkeit entsprach.

Telefone waren eine moderne Sache, aber nicht für jedermann. Ämter und Firmen hatten so ein klobiges schwarzes Ding, privat brauchte man es nicht. Und wenn doch, gab es überall die gelben Telefonzellen der Deutschen Bundespost mit den Aufklebern »Fasse Dich kurz!«. Was auf den ersten Blick widersinnig klingt, hatte einen einleuchtenden Grund: In den Telefonzellen mit den Wählscheiben-Münztelefonen konnte man für zwei Zehn-Pfennig-Münzen, Groschen genannt, zeitlich unbegrenzte Ortsgespräche führen, denn es gab keinen Zeittakt.

Es gab Zeitgenossen, die das weidlich ausnutzten und stundenlang für besagte zwei Groschen telefonierten. Aber wehe, man musste ein Gespräch in die nächste Stadt oder gar in ein anderes Bundesland führen. Da klackerten die beiden Groschen schon nach dem ersten Freizeichen durch, und man musste eifrig Markstücke nachfüttern, damit die Verbindung nicht plötzlich mangels Geldnachschub abgebrochen wurde. Wir lernten schon als Kinder, dass Ferntelefonie teuer ist.

In den 1970er-Jahren startete die Bundespost in ein neues Zeitalter. Nein, nicht mit Slogans wie »Gönn Dir mal Ferngespräche!« oder ähnlichem, sondern es gab modernere Telefone (mit Wählscheibe) und die waren sogar farbig. Dummerweise war der Beamte, dem man die Außenwerbung mit Farberläuterung anvertraut hatte, farbenblind. Rot-Orange (Farb-Aussage der Post) war in Natura so rein orangefarbig, wie eine Apfelsine nur sein kann, das »Farngrün« war in der Realität moosgrün, aber grau war prima für alle, die Staubwischmuffel waren. Das graue Telefon wirkte auch ungewischt nach einem Jahr noch so frisch staubgrau, als wäre es gerade geliefert worden.  

Ich glaube nicht, dass wir der Werbeoffensive der Bundespost erlagen, allerdings hatten alle ATLAN- und PERRY RHODAN-Autoren  – bis auf einen – privat ein Telefon. Und da wir alle Vor-, Kriegs- oder Nachkriegsjahrgänge waren, hatten wir das klackernde Durchrauschen der Markstücke bei Ferngesprächen in der Telefonzelle im Ohr und damit verbunden den Begriff »teuer« im Hinterkopf. Das wiederum führte zu einer ausgeprägten Allergie gegenüber Ferngesprächen.

Die Kollegen waren nicht nur über das ganze Bundesgebiet verstreut, sondern wohnten auch im Ausland wie Ernst Vlcek in Wien, Clark Darlton in Irland oder Kurt Mahr in den USA. Anrufe von und bei Autorenkollegen waren daher eher selten und wenn, dann nur im Notfall und nach dem Motto »Fasse Dich kurz!«

Einmal bekam ich eine Nachricht von Peter Griese, der nicht nur Exposéautor bei ATLAN war, sondern auch die Leserseite betreute. Diese Nachricht bestand nur aus einem einzigen Satz: »Falk, Du kommst derzeit bei den Lesern sehr gut an!« Dieses Lob erscholl aber nicht aus dem Telefonhörer, sondern stand auf einer Postkarte, die Peter mir geschickt hatte. Das Porto dafür war halt günstiger als der Preis für ein Ferngespräch ...