Einer gegen Terra Werkstattbericht von Hubert Haensel zum Silberband 135

29. Juli 2016

Als Bearbeiter der Silberbände muss ich mich sehr viel intensiver auf die Inhalte der in den Büchern zusammenzufassenden Romanhefte einlassen, als dies in der Regel ein Leser tut. Mit anderen Worten: Ich lese nicht in zwei, vielleicht auch drei Stunden den Text, sage »Schön warʼs« und warte anschließend mehr oder weniger gespannt darauf, dass ich sieben Tage später die Fortsetzung in der Hand halten kann. Vielmehr lese ich die Texte mehrfach und befasse mich intensiv mit der Handlung und den handelnden Personen.

Im Silberband 135 »Einer gegen Terra«, der im September 2016 veröffentlicht wird, bekommen die Menschen auf der Erde Besuch aus der Zukunft. Zeitreise – das ist ein Thema, das die Science Fiction in Wort und Bild immer schon beschäftigt. Abgesehen davon, dass wir Menschen gern wissen würden, woher wir kommen, interessiert uns weitaus mehr, was die Zukunft für uns bereithält. Das mag sich lapidar auf die Börsenkurse von kommender Woche beschränken, die jedem, der sie im Voraus kennt, enormen Reichtum bescheren können.

Diese Neugierde kann ebenso gut bis ans Ende von Raum und Zeit führen: Was kommt danach? Wird ein neues Universum geboren? Beginnt das Spiel womöglich wieder von vorn, nur mit neu gemischten Karten?

Der Maahk-Fundamentalist Grek-336 weiß, was die Zukunft bereithält, und das gefällt ihm überhaupt nicht. Es ist das, was viele als den zwangsläufigen Endpunkt der Evolution ansehen: die Vergeistigung.

Und wie immer und überall: Was dem einen gefällt und erstrebenswert erscheint, ruft beim anderen Panikzustände und Entsetzen hervor. Bei Grek-336 ist es Letzteres. Kein Wunder, dass er versuchen muss, die Zukunft – seine Zukunft – zu verändern.

Grek-336 ist eine der Hauptpersonen im neuen Silberband. Er fragt nicht, ob er überhaupt eine Chance hat, ob letztlich ein Zeitparadoxon seine Bemühungen wieder zunichtemachen würde – er versucht es. Nebenbei will er die Menschheit ebenfalls vor dem Schicksal der Körperlosigkeit bewahren. Er setzt voraus, dass alles, was ihm nicht gefällt, anderen Intelligenzen auch nicht gefallen muss. Dieses Denken macht den Maahk in seiner Psyche geradezu menschlich.

Zurück zum Thema Zukunft und Evolution. Selbstverständlich streben wir in unserer Körperlichkeit nach Perfektion. Eine latente Weiterentwicklung, die Anpassung an alle sich verändernden Umgebungsbedingungen, erfolgt ohne unser Zutun. Wäre es anders, wir wären heute nicht das, was wir sind.

Nur geht uns diese Anpassung nicht schnell genug; wir wollen die Verbesserung am eigenen Leib verspüren. In manchem schießen wir dabei wohl über das Ziel hinaus oder ignorieren einfach die Schattenseiten, weil diese uns persönlich nicht mehr betreffen werden. Das andere verbessert die Lebensqualität vieler Menschen, die von Krankheit oder Unfall betroffen sind: der Ersatz von Organen und die Kunst, immer bessere Prothesen zu entwickeln, nach Möglichkeit aus körpereigenem Gewebe Austauschteile heranwachsen zu lassen. Solche Visionen sind zweifellos erstrebenswert – wir stecken längst mittendrin in den Anfängen ihrer Realisierung.

Aber den Körper aufgeben und nur noch als geistiges Wesen existieren? Oder das eigene Bewusstsein in ein technisches Umfeld zu integrieren? Gibt es da einen nennenswerten Unterschied?

Grek-336 bekämpft die Körperlosigkeit. Dabei hat er seinen eigenen Körper längst weitgehend verloren. Er steckt in einer metallischen Hülle, dem Yrtonkokon, und sein ehemaliger Leib ist eine krude Mischung aus Überresten und technischem Ersatz. Womöglich erwächst die Aversion von Grek-336 nur aus seiner Furcht vor dem nächsten Schritt, ist also ein verzweifeltes Festhalten an Gewohntem. Auch das macht ihn irgendwie menschlich.

Ist mein Fazit verwegen? Egal, wie fremd Intelligenzwesen einander sein mögen, selbst wenn die Atemluft des einen für den anderen tödlich ist – im Grunde ihres Wesens sind sie einander verdammt ähnlich: Leben halt. Sie haben die gleichen Wünsche, Träume, Hoffnungen.

Vielleicht lohnt es sich, darüber nachzudenken, und das nicht nur für Science-Fiction-Leser. Ich denke, unsere aktuelle Zeit ist geradezu prädestiniert dafür.

Hubert Haensel