Seelsorger im All Eine Kolumne von Hermann Ritter

3. Juni 2014

Als ich mich mit dem PERRY RHODAN NEO-Roman 56, »Suchkommando Rhodan«, beschäftigte, wurde mir schnell klar, dass ich einen Betrachter brauchte. Jemand, der vom »irdischen Standpunkt« aus die Ereignisse kommentieren konnte. So kam ich (wenn auch auf Umwegen) zu der Figur des Brendon Caine.

Drei Quellen waren es, aus denen ich schöpfen konnte, um der Figur »Fleisch und eine Seele« zu verschaffen.

Die erste Quelle war meine Liebe zu den »Father Brown«-Romanen von Gilbert Keith Chesterton. Mit den deutschen Film-Versionen, die oft mehr Klamauk enthalten als wirklich nötig, haben die Bücher nichts zu tun. Wer sich wirklich damit beschäftigen will, dem empfehle ich den einen »Father Brown«-Film mit Alex Guiness in der Titelrolle. Ein Fest, ein toller Streifen – wenn man sich traut, den Film im englischen Original zu schauen. Ich mag Chestertons Witz, seinen offenen Umgang mit der christlichen Religion und die charmante Intelligenz, mit der sein Titelheld seine Fälle löst. Nicht umsonst ist er das echte Vorbild für einige der besten Fantasy-Detektive, Lord Darcy eingeschlossen.

Die zweite Quelle war meine – wenngleich eine Weile zurückliegende – christliche Erziehung. Ich begann vor 30 Jahren, an einer kirchlichen Hochschule zu studieren, schloss das Studium dort ab – und trat nach einem Jahr aus der Kirche aus.

Als meine (damals schon sehr betagte) Großmutter davon hörte, sprach sie zwei Wochen lang nicht mit mir. Dann meinte sie zu mir: »Kannst du ohne die heilende Kraft des Evangeliums leben?« Meine Antwort war ein knappes »Ja!«. Damit war das Thema zwischen uns erledigt, und ich sparte mit längere theologische Diskussionen über die Wandlung oder die Frage, wie das Heil jene erreichen soll, die vor der Geburt des Heilands geboren worden sind ...

Das mag sehr akademisch klingen, aber den jungen Hermann Ritter hat das umgetrieben. Und weil die Kirche keine Antworten geben konnte, bin ich gegangen.

Aber eine solide christliche Grundbildung blieb zurück, und die konnte ich für die Figur verwenden. Ich verzichtete darauf, Caine zu einem evangelischen Pfarrer zu machen, und verbrachte (anstatt am Roman zu arbeiten) viele Stunden mit der Recherche zur Isle of Man, der Sprache Manx und der obskuren Geschichte der anglikanischen Kirche. Verwendet habe ich davon das wenigste im Roman, aber es war wichtig, um meiner Gestalt aus Lehm eine Seele einzuhauchen.

Die dritte Quelle war ein Freund von mir, der (wie ich), bei den »Schlaraffen« ist. Nein, das erkläre ich jetzt nicht, das führt hier sicherlich zu weit. Wer mag, kann gerne in der Wikipedia wühlen (nein, ich mache keine Werbung für Matratzen – ich bin bei der anderen »Schlaraffia«). Aber mein Freund dort ist ein freundlicher, älterer Herr, dem ich eine gewisse Weisheit nicht absprechen kann. Er arbeitete nach seiner Pensionierung des Öfteren als Seelsorger auf Kreuzfahrtschiffen. Und mit ihm habe ich mich mehrere Male über diese Tätigkeit unterhalten – ohne jemals daran zu denken, dass ich das Mal in einem Roman unterbringen könnte.

Das Meer, die Weite, der dünne Metallrahmen, der die Reisenden von den Elementen trennt, das Zurückgeworfen-Sein auf sich selbst, die Enge, die einen nicht mehr davonlaufen lässt – alles das sind Themen, die auf den Kreuzfahrten an den Seelsorger herangetragen werden. Und dann ist es egal, welcher Religionsgemeinschaft mein Freund angehört, er ist dort Seelsorger. Die Menschen glauben dann, dass jeder, der einen Zugang zu Gott hat (oder das sagt), »letztendliche Fragen« beantworten kann. Und er kann das, das bescheinige ich ihm gerne. Ein wenig von ihm, ein wenig von dieser Kreuzfahrt-Situation wollte ich auf Caine im Weltraum übertragen.

Ob es mir gelungen ist, das muss der Leser entscheiden. Im Exposé stand kein Wort über Caine zu lesen – aber ich freue mich, dass er es in weitere NEO-Bände geschafft hat. Und ich werde immer wieder per E-Mail oder im direkten Gespräch auf ihn angesprochen. Einige Kommentare werden von einer grundsätzlichen Religionskritik getragen, die ich akzeptieren, aber nicht verstehen kann. Viele Kommentare sind aber freundlich bis lobend – und führen dann oft in Gespräche, bei denen es um jene »letztendlichen Fragen« geht, für die doch eigentlich Brendon Caine zuständig ist. Und dann stehe ich auf einmal auf einem Con und rede über den Tod oder den Sinn des Lebens.

Ich gebe zu, dass ich nicht erwartet hätte, dass PERRY RHODAN mir das bringen würde. Aber ich bin dankbar dafür und nehme es demütig so hin ... und höre dabei im Hinterkopf Gilbert Keith Chesterton leise lachen.

Hermann Ritter