Rent a book – Leihbücher Eine Kolumne von Falk-Ingo Klee

11. August 2020

Sieht man sich die Biografien der PERRY RHODAN-Autoren an, die in den 1960er-Jahren Romane für dieses Weltraumepos schrieben, fällt auf, dass einige ihre Schreiberfahrungen bereits vorher mit Leihbüchern gesammelt hatten. Und es war beileibe nicht immer nur Science Fiction, die diese Männer zu Papier gebracht hatten.

K. H. Scheer etwa verfasste neben SF auch Abenteuer- und Piratengeschichten, William Voltz Science Fiction. W. W. Shols, mit bürgerlichem Namen Winfried Scholz, schrieb neben SF Western und Krimis, Kurt Brand neben Science Fiction unter anderem Western-Romane. Aber warum publizierten sie ausgerechnet Leihbücher? Und was hatte es mit den Leihbüchereien auf sich, in denen diese Leihbücher damals zu bekommen waren?

Leihbüchereien gab es in Deutschland schon lange vor dem 20. Jahrhundert, und dennoch erlebten sie einen ungeahnten Höhenflug ausgerechnet zu einer Zeit, in der ganz Deutschland in Trümmern lag. Eigentlich fehlte es nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs an allem, was man zum Leben und zum Überleben brauchte, und trotzdem entwickelten die Deutschen eine wahre Leselust. Die befriedigten in Westdeutschland die Leihbüchereien, die ab 1948 allerorten entstanden.

Die meisten vertrieben Leihbücher nur nebenbei. Auch bei uns in der Straße gab es eine Leihbücherei. Das Hauptgeschäft war der Handel mit Zeitschriften, Schreib- und Tabakwaren. In einem Anbau befanden sich Regale, in dem die Leihbücher nach Themen geordnet in Reih und Glied standen. Alle waren gleich groß und fast gleich dick. Sie besaßen eine Art Plastiküberzug und schmückten sich mit einem farbigen, gezeichneten Cover, das ebenso wie der Titel natürlich nicht zum Kauf, sondern zur Ausleihe animieren sollte.

Die Themenpalette war breit gestreut. Den meisten Raum nahmen Frauenromane ein, die sich unterteilten in Arzt-, Berg-, Adels-, Bauern-, Heimat- und Liebesromane. Auch die Männerromane waren geschlechtstypisch: Western, Krimis, Kriegs-, Abenteuer- und Piratenromane, aber auch Zukunftsromane, nach heutigem Sprachgebrauch also SF.

In den 1950er-Jahren gab es schon 20.000 Leihbüchereien mit einem Leihbuchbestand von etwa 20 Millionen Exemplaren, zehn Jahre später erreichten die Verleihbetriebe ihren Höchststand mit 28.000 Anbietern und entsprechendem Buchbestand. Die Bücher und den Nachschub dafür lieferten die Leihbuchverlage, deren Zahl sich ebenfalls vervielfacht hatte. Es waren viele Kleinbetriebe darunter, die versuchten, von diesem Boom zu profitieren, aber sie hielten sich nie lange. Dauerhaft im Geschäft waren lediglich eine Handvoll Branchengrößen.

Die Leihbüchereien mussten die Bücher bei den Leihbuchverlagen kaufen. Gemessen am damaligen Preisniveau waren DM 5,80 pro Band wahrlich kein Schnäppchen. Jedes Buch umfasste in der Regel rund 260 Seiten, war nicht sehr hochwertig hergestellt und auf billigem Papier gedruckt. Man kann sich ausrechnen, wie oft ein Band bei DM 0,20 bis DM 0,25 Gebühr pro Woche ausgeliehen werden musste, um allein die Anschaffungskosten hereinzubekommen.

Der relativ hohe Anschaffungpreis war dem Umstand geschuldet, dass die Auflage pro Titel üblicherweise bei lediglich 2000 Exemplaren lag. Und er steigerte sich im Laufe der Zeit dann auf DM 7,80. Das machte eine Anhebung der Leihgebühr auf 0,60 DM nötig. Damit war der Ausleihpreis sogar etwas höher als der Kaufpreis für Heftromane, die anfangs für DM 0,50 angeboten wurden. Und sie erschienen im Zeitschriftenhandel, also jenen Verkaufsstellen, die oft als Zubrot das Leihbüchergeschäft betrieben.

Heftromane waren in Deutschland so alt wie Leihbüchereien; ihre erste Blütezeit hatten sie Anfang des 20. Jahrhunderts mit rund hundert verschiedenen Reihen und Serien im Kaiserreich erlebt. Und in der Nachkriegszeit erlebten sie eine Renaissance. Wie bei den Leihbuchverlagen versuchten bei den Heftromanen etliche Verlage, sich ein Stück vom Kuchen zu sichern, und schickten nach und nach immer mehr Serien und Reihen in die Kioske und den Zeitschriftenhandel.

Dabei bedienten sie dieselbe Leserschaft mit genau den gleichen Themen wie die Leihbuchverlage, hatten oft sogar die gleichen Autoren. Dazu kam die zunehmende Konkurrenz durch andere Unterhaltungsmedien wie Funk und Fernsehen, Schallplatten und preiswerte Taschenbücher. Mitte bis Ende der 1970er Jahre kam für die letzten Leihbuchverlage das Ende. Rund 30.000 Titel hatten sie bis dahin insgesamt produziert.

Übrigens: Die größte deutsche Leihbücherei hatte sich nach dem Zweiten Weltkrieg in Köln ein gewisser Kurt Brand aufgebaut, PERRY RHODAN- und ATLAN-Autor von 1962 bis 1965.