Ein Blick auf das Zwiebelschalenmodell – Teil zwei Eine Kolumne von Johannes Rüster über die Anfänge der Chaotarchen

28. März 2021

Im PERRY RHODAN-Roman »Der herrliche Diktator« (Band 3104, geschrieben von Susan Schwartz), war ein Artikel von Johannes Rüster enthalten – als Teil des aktuellen PERRY RHODAN-Reports. Diesen Beitrag wollen wir auch an dieser Stelle zur Verfügung stellen. Wegen seines Umfangs erscheint er in zwei Teilen: gestern Teil eins, heute Teil zwei.

Spätestens nach William Voltz’ Tod hatte sich auch diese Stoßrichtung überlebt. Daran war sicher nicht der Wechsel am Seriensteuer schuld, sondern die Zeit: Mit dem Kalten Krieg endeten die vertrauten politischen Gegenpole. Einst visionäre Ideen wie Pazifismus und ökologisches Bewusstsein waren in den Mainstream gesickert und mittlerweile angestaubt. Nach einigen Zyklen, die den kosmischen Überbau eher ausblendeten, hielt dieser aber wieder Einzug – und war, wie die Welt der Neunzigerjahre, erheblich unübersichtlicher geworden.

Am Ende des Jahrzehnts war die globale Aufbruchsstimmung einer gewissen Ernüchterung gewichen. Der Kommunismus war zwar als Staatsform gescheitert, aber der real existierende Kapitalismus hatte sich ebenfalls entzaubert. Die vielen kleinen regionalen Brandherde, die bisher vom großen Ideologiekonflikt entweder verdeckt oder vereinnahmt worden waren, konnten ungehindert aufflammen.

Spätestens mit PERRY RHODAN 1800 hielten diese Entwicklungen auch ins Perryversum Einzug. Die Kosmokraten, die als Förderer der Vielfalt eher für westliche Vorstellungen stehen, versagten zunehmend als Schutzmacht des Lebens. Sie entlarvten sich als machtbewusste Realpolitiker, deren Entscheidungen nicht weniger unverfügbar waren als die ihrer Gegenspieler.

Diese Erkenntnis führte dazu, dass die Galaktiker ihre eigene Position neu bestimmen mussten. Die Mächte des Chaos gerieten eher aus dem Blick. Es ist ja eine verbreitete erzählerische Eskalationsstufe, wenn nach einem Sieg ein Konflikt im eigenen Lager ausbricht. Da ging es den Griechen vor Troja nicht anders als den »Avengers« in »Civil War« – oder den positiven Superintelligenzen im PULS.

Nebenbei dienen diese Auseinandersetzungen dazu, die überlebensgroßen Protagonisten auf ein menschliches Maß zurechtzustutzen. Das kann natürlich bei Gestalten wie den Kosmokraten, bei denen völlige Unmenschlichkeit zum Konzept gehört, erzählerisch nicht immer gutgehen. Wenn sich ES als Doppelagent im Kessel von DaGlausch betätigt, wird Voltz’ kosmisches Ringen unter Robert Feldhoff erst zum Agentenstoff und sinkt dann auf ein gerade in Fankreisen vertrauteres Konfliktniveau.

Um den späteren PERRY RHODAN-Exposéautor Wim Vandemaan zu zitieren: »THOREGON ist die Übertragung des deutschen Vereinsunwesens auf intergalaktische Maßstäbe.«

Währenddessen haben in der Realwelt die Mächte des Chaos nicht geruht: »Global player« wie China oder Russland verdanken ihr (Wieder-)Erstarken einem pragmatischen Umgang mit der eigenen Ideologie. Derart gewandelt kehrten auch in PERRY RHODAN ab Band 2300 die »Vorboten des Chaos« zurück. Die Terminale Kolonne TRAITOR überrollte mit einer brutalen Mischung aus Gleichschaltung und Amoralität das Serienuniversum. Dahinter lassen sich leicht die militärisch-industriellen Komplexe erahnen, die sich in unserer Welt auf Expansionskurs befinden.

In diesem Zyklus funktionierten die Nahaufnahmen besser als jene im Rat von Thoregon. Die Reisen ins Chaos sind beängstigende und verstörende Tableaus, die sich weder hinter Dantes Commedia noch hinter Tolkiens (und Jacksons) Isengard nach dem Fall Sarumans verstecken müssen: Verraucht, verrucht, verdorben.

So passt auch die Handlungsgegenwart zur Welt um uns. Im Kampf gegen das Chaos kann man sich nicht auf die vertrauten Schutzmächte verlassen. ES ist abwesend, und die Kosmokraten sind unzuverlässig, vertrauensunwürdig und kaum vorbildhaft. Aber alle Versuche eines dritten, eigenen Weges zwischen den großen Kräften sind noch viel weniger lebensdienlich – Pilzdome und Zerozone führen in Sackgassen.

So gilt auch im sechzigsten Jahr der PERRY RHODAN-Serie einmal mehr: Das Spielfeld ist bereitet. Es bleibt spannend, in welcher Gestalt und Konstellation es die Mächte betreten, die auch unser Leben beherrschen.