Ein Blick auf das Zwiebelschalenmodell – Teil eins Eine Kolumne von Johannes Rüster über die Anfänge der Chaotarchen

27. März 2021

Im PERRY RHODAN-Roman »Der herrliche Diktator« (Band 3104, geschrieben von Susan Schwartz), war ein Artikel von Johannes Rüster enthalten – als Teil des aktuellen PERRY RHODAN-Reports. Diesen Beitrag wollen wir auch an dieser Stelle zur Verfügung stellen. Wegen seines Umfangs kommt er in zwei Teilen: heute Teil eins, morgen Teil zwei.

Die Zwiebel muss in der Literatur eher selten als Metapher herhalten. Wenn, dann geschieht das in der Regel von außen nach innen: Das lyrische Ich hält das Lauchgewächs gleichsam in den Händen, löst Häutchen um Häutchen, um so zum Kern einer Frage vorzudringen. Es wird zu einer Büchse der Pandora, durch die man bereits weinen muss, während man sie öffnet. Und dann wird man auch noch weiter enttäuscht, denn eine Zwiebel hat keinen eigentlichen Kern. Unter den Schichten verbirgt sich – nichts.

Die PERRY RHODAN-Serie dekonstruiert dieses trostlose Bild auf einzigartige Weise. Sie stülpt es um, wendet es so ins Positive, macht es innerhalb der Serie zur kosmischen Konstante – und verändert es dann doch immer wieder. Aber der Reihe nach.

Die PERRY RHODAN-Serie ist seit sechzig Jahren immer auch ein Spiegel ihrer jeweiligen Zeit. Zum einen, weil die Serie auf veränderte Lebensumstände reagieren muss. Zum anderen, weil die Autorinnen und Autoren selbst im Wandel dieser Zeit leben und schreiben.

So ist in den Siebzigerjahren zum Beispiel ein tiefer Umbruch erkennbar, der sich am Stabwechsel von Karl-Herbert Scheer zu William Voltz festmachen lässt: Mit dem Abflauen der heißen Phase des kalten Kriegs hatte sich auch das solar-imperiale »höher, schneller, weiter« der Ära Scheer totgelaufen. Schon der Zeitsprung in Band 400 hatte alte Machtgefüge pulverisiert. Spätestens ab Band 500 wurde deutlich, dass sich auch die Handlungsmuster des ersten Serienjahrzehnts gründlich festgefahren hatten.

Als K. H. Scheer aus unterschiedlichen Gründen zunehmend Planungsaufgaben an William Voltz abgeben musste, waren sich beide in einem völlig einig. Nämlich darin, »dass Fortschritt nur da auszumachen ist, wo ein Ziel definiert ist«. Voltz änderte nur das Ziel. Sein Optimismus schlug sich nicht mehr in einer technischen, sondern in einer metaphysischen Evolution nieder.

Dafür griff er auf die Superintelligenz ES zurück. Dieser erste wahrhaft kosmische Partner der Menschheit, der über Jahrtausende Handlungszeit sträflich vernachlässigt worden war, wurde nun zum Aufhänger für die neue Kosmologie, die den Protagonisten ebenso ausführlich wie unauffällig in PERRY RHODAN 772 mitgeteilt wird:

Wie die Schalen einer Zwiebel liegen Seinsstufen übereinander. Ein Volk kann sich von seinem planetaren Lebenskeim aus entwickeln, indem es die Phasen erst interplanetarer, dann interstellarer und intergalaktischer Raumfahrt durchläuft und dann zu einem kollektiven Geisteswesen, eben einer Superintelligenz wird, um als guter Geist und Schutzmacht einer Mächtigkeitsballung aus mehreren Galaxien zu agieren.

Bis Band 1000 kommen weitere Schalen hinzu: Superintelligenzen können sich zu Materiequellen weiterentwickeln, diese wiederum zu Kosmokraten, unfassbaren Mächten, entrückt in eine Sphäre jenseits von Raum und Zeit. 

Es ist so offensichtlich wie spannend, auf welche Weise Voltz den Zeitgeist destilliert: Hier prallen Kalter Krieg und Friedensbewegung aufeinander, christliche Erlösungssehnsucht und hinduistisches Weltbild, Evolutionsbiologie und Esoterik. Aber auch er kommt um ein urmenschliches Bedürfnis nicht herum: Jeder Optimismus braucht seinen Pessimismus, jeder Held seinen Bösewicht.

Diese Struktur liegt allen Erzählungen der Menschheit zugrunde. PERRY RHODAN macht keine Ausnahme, nur dass die Antagonisten bei Voltz nicht mehr herbei transitieren, sondern sich als eine verdorbene Hälfte der Zwiebel entblättern: Superintelligenzen können positiv oder negativ sein. »Gefallene« Superintelligenzen werden dann konsequent zu Materiesenken und schließlich zu Chaotarchen, Gegenspielern der Kosmokraten.

Worin die positive oder negative Qualität besteht, darauf geben die klugen Namensgebungen Hinweise. Ein Blick ins Altgriechisch-Wörterbuch lehrt:

»kosmos« ist die »Welt«, aber genauso die »Ordnung«, »kratos« bezeichnet »Herrschaft«, aber eben auch die »Kraft« oder den »Nachdruck«, mit dem man die Dinge angeht. Die kosmokratische Mission besteht also darin, energisch eine Weltordnung herzustellen, in der sich das Leben maximal entfalten kann. 

»chaos« bezeichnet ursprünglich eher »absolute Leere« als »Durcheinander«, #archē# ist nicht nur »die Herrschaft«, sondern auch »der Anfang«. Chaotarchen wollen den kosmischen Urzustand totaler Entropie wiederherstellen, den die Bibel so eindringlich als »tohu wa-bohu«, als »wüst und leer«, bezeichnet.

Damit wurde der neue Maßstab der PERRY RHODAN-Serie gesetzt. Auch wenn es weiterhin kriegerische Auseinandersetzungen und allzumenschliche Entwicklungen gab, wurden diese an den Rand der Handlung gedrückt.