Der Pionier der Zukunft – Teil 1 Ben Calvin Hary schreibt über das Leben des PERRY RHODAN-Gründungsautors Clark Darlton

4. Juli 2020

Der PERRY RHODAN-Roman 3068 enthielt einen PERRY RHODAN-Report, in dem der Autor Clark Darlton im Zentrum stand. Der Grund: Er wäre am 13. Juni 2020 hundert Jahre alt geworden. Einer der Beiträge stammte von Ben Calvin Hary – wir präsentieren ihn auch an dieser Stelle. Wegen seiner Länge kommt der Artikel in zwei Teilen: heute der erste, morgen der zweite Teil.

Kindheit zwischen Drittem Reich und »Sun Koh«

Geboren wurde Walter Ernsting am 13. Juni 1920 in Koblenz, verbrachte dort aber nur wenige Jahre. 1928 schickten seine Eltern das kränkliche Kind in ein Kinderheim. Dort, soll Ernsting später gesagt haben, habe er seine innige Abneigung gegen ignorante Autoritäten entwickelt: »Fast täglich« habe man ihm dort gekochten Schellfisch verabreicht. Das Resultat sei eine Gelbsucht gewesen.

Nach einem Jahr im Heim kehrte Ernsting in ein verändertes Elternhaus zurück. Seine Eltern waren geschieden, seine Mutter hatte den Diplomingenieur Wilhelm Ehlers geheiratet. Ab 1929 war das Ehepaar Mitglied in der NSDAP.

Heiko Langhans schildert in seiner Darlton-Biografie »Der Mann, der die Zukunft brachte« (VPM, 2000) die Abneigung, die der junge Ernsting für das Regime und seine Organisationen empfand. Unter anderem soll ein bewaffnetes »Attentat« auf ein Führerporträt 1936 zu seinem Ausschluss aus der Hitlerjugend geführt haben, »unter der Bedingung, nie wieder einer nationalsozialistischen Vereinigung beizutreten«. Zwei Jahre später schützte das »Verbot« ihn aber nicht vor der Einberufung zum Reichsarbeitsdienst.

Die Nazizeit und der Zweite Weltkrieg prägten Walter Ernsting, wie viele junge Männer seiner Generation. Sein Temperament und seine Ablehnung von Autorität brachten ihn früh in Konflikt mit der Gestapo und später, während seiner aktiven Militärzeit, mit seinen Vorgesetzten. Mehrmals saß er in Haft.

Nach der Kapitulation des Deutschen Reichs geriet er für fünf Jahre in russische Kriegsgefangenschaft. In Kasachstan zog er sich eine Lungenerkrankung zu, mit der er zeitlebens kämpfen sollte.

Erst im April 1950 wurde er aus der Gefangenschaft entlassen. Er hatte Glück: »Von rund 3,18 Millionen deutschen Kriegsgefangenen in sowjetischer Hand kehrten 1,1 Millionen nicht mehr zurück.« (Langhans)

Zurück in Deutschland zog Ernsting zu seiner Mutter nach Velken in Nordrhein-Westfahlen, wo diese, wie vor dem Krieg, eine Dackelzucht betrieb. Seine angeschlagene Gesundheit hinderte ihn zunächst daran, einer geregelten Arbeit nachzugehen. In der Folgezeit schlug er sich mit Gelegenheitsjobs durch. Da er Englisch beherrschte, wurde er häufig als Dolmetscher für die englischen Besatzungstruppen herangezogen.

So geschah es, dass Walter Ernsting erste Bekanntschaft mit der Science Fiction amerikanischer und englischer Provenienz machte. In sogenannten NAAFI-Shops – Läden des britischen Militärs – entdeckte er billige Hefte mit Klebebindung. Deren Titelbilder mit ihren Raumschiffen, Weltraumfahrern und Monstern weckten in Ernsting Erinnerungen an die utopischen Romane seiner Kindheit.

Die Texte ließen ihn nicht los. Zunehmend ärgerte er sich darüber, dass es auf dem deutschen Markt nichts Vergleichbares gab. Mehr noch ärgerte es ihn, als er während eines Urlaubs im Neckartal auf Ausgaben der Heftromanserie »Jim Parkers Abenteuer im Weltraum« stieß – futuristische Agentengeschichten aus dem Erich Pabel Verlag, die ihn jedoch langweilten.

Durch seine Arbeit für die Besatzer war Ernsting zum geübten Übersetzer geworden. So wuchs seine Idee, solche Science-Fiction-Werke einfach selbst zu übersetzen. Also packte er einige der gesammelten Hefte ein und fuhr damit – unangekündigt – zu den »Jim Parker«-Machern nach Rastatt.

Bei Pabel kam es zu einer ersten Begegnung zwischen Ernsting und Cheflektor Kurt Bernhardt. Es war der Auftakt zu einer rund dreißigjährigen »Hassliebe« (Langhans), die unter anderem die PERRY RHODAN-Serie gebären sollte. An ihrem Beginn jedoch stand die Reihe UTOPIA-Großband.

Nach einem Zerwürfnis mit Bernhardt wechselte Ernsting später zum Münchner Moewig Verlag und startete dort die Konkurrenzreihe TERRA. Die Flucht vor Bernhardt verlief indes erfolglos; der Cheflektor wechselte nach einem Streit mit Verleger Erich Pabel ebenfalls zu Moewig. 1972 fusionierten die Verlage, nachdem beide zuvor vom Heinrich Bauer Verlag aus Hamburg erworben worden waren.