Über die Liebe zum schönen Buch Eine Kolumne von Hermann Ritter zu den E-Book-Aktionswochen

17. April 2014

Hätte ich einen E-Book-Reader, so würde ich ihn verschenken. An einen meiner Neffen oder an eines meiner beiden Patenkinder. Dann, wenn die schon einen hätten (was ich nicht weiß), blieben immer noch karitative Einrichtungen oder ein Wiederverkäufer als Zielgruppe.

Ich habe keinen E-Book-Reader. Tief in mir drin bin ich kein Maschinenstürmer, der jede moderne Technologie ablehnt und mit einem Plakat vor dem Bauch vor Verkaufsstellen dagegen protestiert. Meine Großmutter hat auch Bücher nicht abgelehnt, obwohl sie in der Schule noch auf Schiefertafeln geschrieben hat.

Warum muss man ein Skeptiker sein, eine Art moderner Luddit, der jede Neuerung ablehnt, weil er sie nicht kennt? Haben sich alle Kino-Freunde umgebracht, als die Videokassette auf den Markt kam? Hat das Heimkino das Kino vernichtet? Nein. Es wird andere, neue Verwertungsformen geben, solange es Texte gibt. Wer weiß, wie der nächste Schritt aussieht. Ich bin mit der Verwertungsform sehr zufrieden, die wir mal »Buch« oder »gedrucktes Wort« nennen wollen.

Mein Vater war Papierkaufmann, mein Onkel Lichtsetzer. Beide gründeten eine Firma, die druckte. Genauso wie einige meiner Onkels Drucker waren. Ich bin in Druckereien ein- und ausgegangen, habe aus Bleisatz Zinnfiguren gegossen, habe alle Arten von Papier mit Buntstiften vollgemalt und bei vielen Arbeiten in und um Druckereien geholfen. Eine echte Ahnung habe ich nicht, aber eine Liebe habe ich entwickelt – eine Liebe zum gut gemachten Produkt, zum schönen Buch, zur guten Broschüre, zum interessanten Magazin.

Das sind Dinge, die kann mir (und ich verallgemeinere das absichtlich nicht: mir) ein E-Book nicht geben (abgesehen vom gruseligen, denglischen Namen, der mich sowieso abschrecken würde – bin ich jetzt lieber »Reader« als »E-Book-Reader«, weil ich Bücher mag? Oder »Booker«? Gruselig.). Ein Artikel sprach mal von der »haptischen Erfahrung« mit Büchern, dem Anfassen. Und: Ich brauche den Zettel, der im Buch nach vorne wandert und meinen Lesefortschritt markiert.

Natürlich kann man jetzt einwenden, dass jemand, der Science Fiction schreibt, sich auch mit modernen Technologien auskennen muss. Ja. Aber warum sind moderne Technologien nur Kommunikationstechnologien (dazu zähle ich »Reader« einmal). Ich interessiere mich für die meisten »weichen« Wissenschaften, mache mir Gedanken über Religion und Ethik der Zukunft. Menschen bleiben Menschen – 2014 wie 2214, ob sie Texte vom Blatt ablesen oder sich vor das Auge projizieren lassen. Aber was verändert sich emotional bei der Menschheit, seitdem Bilder aus dem Weltraum von unserem Planeten immer allgemeineres Gut werden? Verändert sich unsere Sicht auf das Leben, weil wir wissen, wie viele leblose Orte es »da draußen« gibt?

Ich schweife ab.

Angefragt wurde ich auch nach einer »Videobotschaft für unsere Homepage und Facebook«. Kann ich nicht mit dienen. Das Buch der Gesichter kommt ohne das meinige aus, und eine Videobotschaft könnte ich nicht erstellen.

Seufz.

Mir kommt es auf Inhalte an, nicht auf die Form, in der sie präsentiert werden. Und leider glaube ich, dass wir in einer Welt leben, die karge Inhalte hinter glitzernder Technologie verbirgt.

Träumen Androiden von elektrischen Readern?

Hermann Ritter