Der Redakteur erinnert sich: Wie das digitale Denken begann

31. Mai 2018

Im Spätsommer 1995 hatte sich das Verhältnis zwischen der PERRY RHODAN-Redaktion und der neuen Verlagsleitung der Buchverlage nicht gerade optimal entwickelt. Im Buch- wie auch im Zeitschriftenbereich waren viele Kolleginnen und Kollegen entlassen worden, darunter der Chefredakteur der Heftromanserien. Der neue Verlagsleiter verfolgte einen Kurs, der einerseits Kostensenkungen enthielt, andererseits den Verlag in eine neue Zeit bringen sollte.

Das merkte ich, als ich im August 1995 zu einem Vier-Augen-Gespräch bestellt wurde. Nach einigem oberflächlichen Gerede kam Bernhard Maurer zur Sache. Wie ich mir denn die Zukunft vorstelle und ob ich glaubte, die PERRY RHODAN-Serie würde auch noch in zehn oder zwanzig Jahren existieren.

»PERRY RHODAN wird auf jeden Fall Band 2000 erreichen«, versicherte ich, völlig von der Arbeit der Autoren und der Begeisterung der Leser überzeugt. »Aber wie lange es noch Heftromane geben wird, weiß ich nicht.«

Seit Mitte der 80er-Jahre war das Heftromangeschäft im Rückzug. Verschiedene Verlage hatten aufgegeben, darunter der Zauberkreis-Verlag, der in Rastatt »auf der anderen Straßenseite« existiert hatte, keine 200 Meter von uns entfernt. Auch der Pabel-Moewig Verlag hatte in den 90er-Jahren zahlreiche Heftromanserien eingestellt. Es wurde gemunkelt, dass außer PERRY RHODAN und dem »Landser« – den niemand mochte, der aber wirtschaftlich erfolgreich war – nicht viel die aktuelle Kürzungswelle überstehen würde.

Bernhard Maurer fragte nach: »Wie meinen Sie das denn? Werden die Leute nur noch unsere Bücher kaufen?«

Ich war überzeugt davon, dass eine Zukunft der PERRY RHODAN-Serie vor allem im Buchgeschäft liegen müsste. Wir sollten, so argumentierte ich, neue Buchreihen starten und die Serie stärker im Buchhandel verankern. Zudem sollten wir versuchen, ein neues PERRY RHODAN-Magazin in den Handel zu bringen.

Der Verlagsleiter fragte mich nach den Erfolgsaussichten für eine digitale Verwertung der Romane. »Werden die Leute irgendwann die Romane am Bildschirm lesen?«

Ich wusste, dass es sogenannte DFÜ-Stammtische gab, in denen über die moderne »Datenfernübertragung« diskutiert wurde, und ich hatte davon gehört, dass es bereits Romane gab, die über Disketten vertrieben wurden. Schon in den späten 80er-Jahren hatte Wilfried A. Hary, der ehemalige ATLAN-Autor, damit angefangen. Der Autor verlegte die sogenannten Diskomane – ein Begriff, den er begründet hatte –, bei denen er seine Romane auf Disketten spielte, die man daheim auf dem Computer lesen konnte.

Ich wusste, dass auch Fans in diese Richtung gingen. Weil ich seit 1986 die PERRY RHODAN-Clubnachrichten betreute, hatte ich einen guten Einblick in die Aktivitäten der Fans. Ich erzählte von den »Raumschiff Orion«-Romanen, die Fans schrieben, dann aber nicht druckten, sondern auf Disketten in Umlauf brachten.

Maurer wiederum erzählte von den Bemühungen der Technologie-Konzerne, das digitale Lesen zu kommerzialisieren. Seinen Informationen nach experimentierte beispielsweise Sony seit Jahren damit, eigene Lesegeräte zu entwickeln. Noch steckte der Vertrieb der Datenträger in den Kinderschuhen.

CD-ROMs waren der neueste Schrei. Mein alter Freund Carsten Scheibe verdiente sein Geld damit, dass er CD-ROMs zusammenstellte, auf denen Freeware-Programme und Bilder vertreten waren.

»Was also liegt näher, als unsere Romane auch auf solchen Datenträgern zu verkaufen?«, überlegte Maurer laut. Seine Vision, die er mir skizzierte, war noch unausgereift, aber er wollte die PERRY RHODAN-Serie insgesamt digitalisieren.

»Aber das geht nicht mit dem bisherigen Vertrag, den wir mit den Autoren geschlossen haben«, sagte er. Zuerst verstand ich ihn nicht, dann erklärte er es mir am Beispiel eines Bleistiftes, den er hochhielt. »Wenn ich Ihnen jetzt diesen Bleistift für eine Mark verkaufe, gehört er Ihnen, und Sie können damit machen, was Sie wollen.«

Das leuchtete komplett ein. Dann aber fügte er hinzu: »Wäre ich aber ein Autor, müssten Sie mir jedes Jahr ein wenig Geld dafür geben, dass Sie meinen Bleistift benutzen können.«

Ich verstand, in welche Richtung er gehen wollte, und verwies auf das Urheberrecht. Die Autoren seien die Urheber der Romane, und für ihr geistiges Eigentum müssten wir sie prozentual beteiligen.

»Wir müssen den Verlag und die Serie zukunftsfähig machen«, sagte er. »Das geht nicht mit den alten Verträgen.« Deshalb müsse man diese anpassen.

Mir war klar, dass er es anders sah als ich, und wir schieden wieder einmal nach einem langen Gespräch im Streit. Ich verstand, dass er einen visionären Weitblick hatte, der vieles von dem überstieg, was ich sonst in der Verlagswelt wahrnahm. Weil er aber vorher in der Konsumgüter-Industrie gearbeitet hatte, war seine Denkweise weit entfernt von der eines kreativen Autoren oder eines Redakteurs, der – wie ich – zumindest glaubte, kreativ mit den Autoren zusammenzuarbeiten …

 

Klaus N. Frick