Der Redakteur erinnert sich: Ende eines schönen WeltCons

29. August 2018

Der WeltCon in Saarbrücken sollte am Sonntag, 7. September 1986, mit einem sogenannten Happening ausklingen. Die Fans konnten sich darunter nicht so viel vorstellen, und ich wusste auch nicht, woher dieser Begriff eigentlich kam. Den Abschluss eines großen Cons bezeichnete man bei internationalen Veranstaltungen dieser Art als »Closing Ceremony«. Wahrscheinlich wollte man in Saarbrücken einen anderen Weg einschlagen.

Als junger Verlagsangestellter war ich an diesem Nachmittag noch einmal in verschiedenen Räumlichkeiten unterwegs. Journalisten mussten informiert, Autoren zu ihren Programmpunkten geleitet werden. Wenn ich zwischendurch Luft hatte, plauderte ich mit Fans – viele davon kannte ich schließlich seit Jahren – und sorgte dafür, dass die »Backstage«-Räume langsam ausgeräumt wurden.

Leider konnte ich mit Oliver Scholl nur wenige Worte wechseln. Der Risszeichner hatte im Verlauf des Wochenendes ein Bild erstellt: mit feinen Spraydosen auf einer großen Wand. Immer wieder waren Besucher stehen geblieben, hatten ihm zugeschaut und mit ihm gesprochen. Bei mir hatte es nur zu einem »hallo« und unverbindlichem Geplänkel gereicht, weil ich ständig unterwegs gewesen war. Nun war der Zeichner am Ende, und bevor wir – wie geplant – richtig miteinander reden konnten, verlor ich ihn aus den Augen.

(Wir sahen uns danach einige Jahre lang nicht mehr. Oliver Scholl zog bekanntlich nach Kalifornien, arbeitete anfangs für einen gewissen Roland Emmerich und später für praktisch alle großen Produzenten in Hollywood. Wir trafen uns erst in den frühen Nullerjahren wieder.)

Als das Happening begann, stand ich im Saal, nicht hinter der Bühne. Neben mir stand eine junge Grafikerin, die viel für die optische Gestaltung des WeltCons getan hatte. So bekam ich die Fan-Perspektive mit und hatte nicht den »offiziellen« Blick auf das Geschehen.

Immerhin war der Saal voll, die meisten Besucher blieben bis zum Ende der Veranstaltung und reisten nicht früh ab. Weil viele ihr Gepäck mit sich führten, standen und lagen viele Taschen unter den Stühlen und entlang der Wände.

Noch einmal trat die holländische Band SENSUS auf. Der PERRY RHODAN-Song kam gut an, aber es gab erste Pfiffe, weil die Band für den Geschmack mancher Con-Besucher viel zu lange brauchte. Die Unmutsäußerungen in meiner Nähe waren eindeutig.

Vielleicht war der Witz für manche auch schon vorbei: Ich wusste, dass viele PERRY RHODAN-Leser auf »ganz normale« Rockmusik standen und sie mit der Synthesizer-Musik der Holländer nicht viel anfangen konnten. Beim ersten Auftritt hatte man den Sound toleriert, vor allem wohl, weil die Melodie »unseres« Liedes so gut ins Ohr ging – beim zweiten Mal hatte man keine Lust mehr darauf.

Danach wallte erneut Trockeneisnebel über die Bühne, bevor Linda Ivanus-König mit dem Mikrofon nach vorne trat, gekleidet in einen silberglänzenden Anzug, den sie extra für die Veranstaltung hatte herstellen lassen, bunte Farbsträhnen im Haar, »auf Science Fiction gestylt«. Sie begann ihre Rede mit »Dreizehn waren nicht da«. Angeblich hätten 4987 Fans den Con besucht, und es hätten nur dreizehn Personen gefehlt, um die 5000 voll zu machen.

Der Saal tobte vor Begeisterung. Ich war einigermaßen verwundert, weil ich die Zahl für deutlich zu hochgegriffen hielt. Wie viele Besucher in der Saarlandhalle waren, wusste ich nicht; mehr als 3000 Personen passten aber nicht auf die Stühle. Ich verdrängte die Zahl und schob sie auf »gutes Marketing«, während rings um mich applaudiert wurde.

Dann holte Linda Ivanus-König die Ehrengäste auf die Bühne. Für jeden Autor erklang noch einmal Applaus, ebenso bei Johnny Bruck und den Risszeichnern, bei den anderen Ehrengästen. Blumen wurden verteilt, Autoren umarmt, es war eine schöne Zeremonie. Sie holte die Helfer nach vorne, die Verlagsangestellten. Am Ende stand die Bühne voller Autoren und Helfer, umwabert vom Trockeneisnebel.

Nur einen Mitwirkenden vergaß die Veranstalterin – das war ich. Die ganze Zeit hatte ich mich darauf gefreut, auch auf die Bühne zu dürfen, um »meinen« Applaus in Empfang zu nehmen, aber diese Aufforderung kam nicht.

Ich stand zwischen den Fans, die von meiner Bestürzung nichts mitbekamen, und fühlte mich wie betäubt. Ich war 22 Jahre alt, las seit neun Jahren PERRY RHODAN und hatte mich für den WeltCon stark ins Zeug gelegt. Und jetzt wurde mir nicht einmal öffentlich dafür gedankt. Es kam mir vor, als hätte ich eine schallende Ohrfeige erhalten.

Die Grafikerin stieß mich an. »Hey, sie hat mich auch vergessen«, sagte sie und lachte. Ihr war es nicht wichtig, mir schon, aber ihre gute Laune steckte mich an, und ich kam in bessere Stimmung.

Den Rest des Happenings bekam ich nicht mehr mit, ich musste wieder arbeiten. Noch während die Gäste auf der Bühne ihren Schlussapplaus erhielten, verließen die Fans in Scharen die Halle. Vor der Tür standen bereits die Busse, die sie zum Bahnhof bringen würden – von dort ging ein Sonderzug nach Mannheim, und von Mannheim aus würden sich die bahnreisenden Besucher des WeltCons auf den Heimweg begeben.

Irgendwann war die Halle leer. Wir räumten auf, was wegzuräumen war; ich packte vor allem das Material aus dem Pressezentrum ein und stellte die Kisten auf irgendwelche Paletten. Arbeiter der Saarlandhalle machten sich daran, die Dekoration der Bühne abzubauen. Sie würden die künstliche Planetenlandschaft einfach einreißen und in den Müll werfen. Das fand ich schade, aber es war nicht zu ändern.

Zum gemeinsamen Abendessen fanden wir uns später im Restaurant der Saarlandhalle ein. Der Direktor der Halle hielt eine Rede, in der er sich für die hervorragende Zusammenarbeit bedankte. Linda Ivanus-König hielt ebenfalls eine Rede, in der sie sich vor allem bei ihm bedankte. Ich saß zwischen den Helfern, trank eine Apfelschorle nach der anderen und applaudierte brav.

Nach ihrer Ansprache kam Linda Ivanus-König zu mir und sprach mich an. Sie habe mich vergessen, es sei ihr sehr peinlich, aber sie habe mich nicht gesehen, und deshalb solle ich es ihr nicht übel nehmen, dass sie mich nicht auf die Bühne gerufen habe. Sie nahm mich in den Arm und drückte mich, und dann war ich doch zufrieden.

Der Rest des Abends verlief fröhlich. Ich unterhielt mich mit Fans und Autoren, wir ließen den WeltCon noch einmal Revue passieren. Und wir waren uns alle sicher: Zum 25 Jahren PERRY RHODAN hatten wir eine wunderbare Veranstaltung geschaffen.

 

Klaus N. Frick