Der Redakteur erinnert sich: Ein Klappkonn in Katzenfurt

26. Februar 2019

Im Verlauf der 80er-Jahre schloss ich mich dem einen oder anderen Verein an, der sich mit Science Fiction beschäftigte. Mit am längsten blieb ich im PERRY RHODAN-Briefclub Bullys Schreibtisch (PRBCBS) – das lag aber sicher nicht daran, dass man sich dort intensiv mit der PERRY RHODAN-Serie beschäftigt hätte. Stattdessen ging es in den Zeitschriften des Clubs um alle möglichen Themen, die einzelne Mitglieder interessierten; man diskutierte buchstäblich »über Gott und die Welt«.

Der Club veranstaltete regelmäßige Treffen. Die nannte man »Klappkonn«, abgeleitet von den Begriffen »Club« – verwirrenderweise englisch ausgesprochen – und »Con« und waren eher familiär. Im Schnitt kam kaum mehr als ein Dutzend Leute zusammen. Am Wochenende des 22. bis 24. März 1985 war ich zu einem solchen Klappkonn unterwegs.

Zu der Zeit absolvierte ich bei der Bundeswehr meinen Wehrdienst. Normalerweise saß ich in einer Kaserne in Bruchsal. In meiner Kompanie gab es Wehrpflichtige, die nicht nur über ein Auto verfügten, sondern auch nördlich von Baden-Württemberg wohnten. Ich schloss mich einer Gruppe anderer Wehrdienstleistender an und fuhr in deren Auto mit.

Zehn Kilometer später hatten wir bereits eine Panne, schafften es aber bis auf einen Parkplatz. Während die anderen drei beim Auto blieben, reiste ich in kleinsten Etappen per Anhalter weiter, geriet aber an einen Fahrer, dessen Auto ebenfalls eine Panne hatte. Nach einem halben Tag auf der Autobahn hatte ich Baden-Württemberg tatsächlich noch nicht verlassen; es war eine seltene Pechsträhne in meiner Karriere als »Tramper«. Letztlich landete ich frustriert in Frankfurt und fuhr von dort aus mit der Bahn weiter.

Katzenfurt ist ein Ortsteil von Ehringshausen, einige Kilometer nördlich von Wetzlar gelegen. Veranstalter war Axel, der im PRBCBS das wichtige Amt eines Kassierers ausübte. Im elterlichen Haus wohnte er im Untergeschoss, wo ein größeres Zimmer als Raum für den Con diente. Die schlafenden Besucher wurden auf die verschiedenen Stockwerke verteilt.

Am Bahnhof von Katzenfurt stand eine Telefonzelle. Ich hatte erfreulicherweise genügend Kleingeld dabei und rief bei Axel an. Keine zehn Minuten später rollte er mit seinem Auto vor und chauffierte mich zu sich nach Hause. Nach einer kleinen Odyssee durch Baden-Württemberg und Hessen war ich endlich angekommen.

Der Con hatte bereits begonnen. Gut ein Dutzend Science-Fiction-Fans waren da, ich kannte die meisten. Axel hatte einen Computer aufgestellt, und der bildete zu diesem Zeitpunkt das Zentrum der kleinen Veranstaltung: Die meisten hatten sich um den Bildschirm versammelt und verfolgten mit großem Gejohle dem Verlauf eines Action-Spiels. 1985 konnte sich noch nicht jeder Haushalt einen Computer leisten, auch ich träumte von einem solchen Gerät.

Obwohl ich Computerspiele spannend fand, hatte ich keine Lust, mein Wochenende damit zu verbringen. Ich aß etwas – in einem Nebenraum hatte Axel eine Art Büffet aufgebaut, an dem wir uns finanziell beteiligten – und trank zwei Bier. Immerhin waren auch einige andere Besucher eher daran interessiert, Bier zu trinken und zu reden.

Zu den Fans, mit denen ich mich an diesem Abend am meisten unterhielt, zählten der Autor Achim Mehnert, der zu jener Zeit mit seinen Geschichten für Aufsehen sorgte und unlängst erst verstorben ist, oder Michael Haitel, der heute in seinem Verlag p.machinery vielen deutschsprachigen Autoren in Sachen Science Fiction und Fantasy schöne Buchveröffentlichungen ermöglicht.

Wie es sich zu jener Zeit gehörte, hatte Axel eine Schreibmaschine mitten in den Raum gestellt, dazu einen Stapel Papier. Damit wurden die Impressionen des Wochenendes geschrieben. Wer immer wollte, setzte sich an die Schreibmaschine und notierte, was ihm in den Sinn kam.

Viele Notizen und Impressionen waren witzig – wobei sich der Witz nur denjenigen erschloss, die in genau jenem Augenblick im Raum waren. (Schon eine Woche später wusste kaum noch jemand, was an mancher Bemerkung eigentlich lustig sein sollte.) Manche schrieben Aufsätze, ich notierte beispielsweise ausführlich, wie ich per Anhalter und per Bahn nach Katzenfurt gereist war.

Zu vorgerückter Stunde kam es zu einem kleinen Konflikt zwischen Achim Mehnert und mir, den die anderen mit viel Gelächter quittierten. Ich hatte ihm eine Fantasy-Geschichte für sein Fanzine »Denebola« geschickt, die ihm nicht gefallen hatte. »Sie hat ja keine richtige Handlung«, sagte er. »Da sitzt ein Typ die ganze Zeit herum und tut nichts.«

Ich beharrte darauf, dass die Geschichte nun mal den Titel »Wartend auf jemand« trage. Das müsste so sein, das sei der Sinn der Story. Aber er ließ sich nicht beirren, er wollte die Fantasy-Geschichte nicht veröffentlichen. In solchen Fragen waren wir beide starrsinnig.

»Dann schreibe ich eben eine neue Story«, murrte ich, setzte mich an die Schreibmaschine und begann zu tippen. Die laut klappernde Tastatur hielt zuverlässig jene Fans vom Schlafen ab, die sich im Nebenraum bereits zur Ruhe gelegt hatten.

Ich schrieb schnell und schaffte es tatsächlich, eine sehr kurze Kurzgeschichte zu verfassen. Sie war nicht sonderlich geistreich, enthielt praktisch keinen Science-Fiction-Aspekt und würde sicher niemals einen Preis gewinnen. Stolz zog ich die betippten Seiten aus der Schreibmaschine, zeigte auf den Titel »Leicht verträumt« und hielt sie Achim Mehnert entgegen.

Sie gefiel ihm nicht, was mich nicht wunderte, und er wollte sie auch nicht für sein Fanzine haben. Wir entschlossen uns, die Geschichte in einem Fanzine des PERRY RHODAN-Briefclubs Bullys Schreibtisch zu veröffentlichen, und waren damit alle endlich einer Meinung. Es ging schon auf vier Uhr, als Achim und ich unsere amüsante Differenz beigelegt hatten …

Mit derlei harmlosen Späßen und Fan-Angelegenheiten ging der erste Tag des Klappkonns vorüber. Das Wichtigste bei solchen Treffen war ohnehin, dass ich mich mit Leuten zusammensetzen konnte, die sich für Fan-Zeitschriften, Kurzgeschichten und Science Fiction interessierten. Solche Menschen kannte ich aus meiner Heimatstadt nicht, und in der geistigen Einöde einer Bundeswehr-Kaserne fand ich sie ebensowenig.

(Nachträgliche Anmerkung: Bei Menschen, die nichts mehr mit unserer Szene zu tun haben oder von denen ich nichts mehr weiß, habe ich die Namen verändert oder die Nachnamen weggelassen.)