Die Woche der Graphic Novels (Teil 3) Florent Silloray: Auf den Spuren Rogers

22. April 2015

Der Vergangenheit hinterher

Das Ende des Zweiten Weltkriegs liegt schon 70 Jahre zurück, aber er bewegt immer noch die Gemüter. Nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen Ländern haben viele Kriegsteilnehmer ihr Leben lang geschwiegen und ihre Erinnerungen erst gegen Ende ihres Lebens preisgegeben; manche konnten über ihre Erlebnisse nie sprechen.

Ein Beispiel dafür ist der französische Soldat Roger: Im Alter von 27 Jahren wird er zum Militär eingezogen und an die Front geschickt. Beim Angriff der deutschen Wehrmacht bricht die französische Armee zusammen, Roger wird gefangen genommen. Er kommt in ein Lager nach Deutschland, wo er bis zum Kriegsende hinter Stacheldraht verbringen muss.

Über seine Erlebnisse spricht er so gut wie nie, nicht zuletzt deshalb, weil die französische Erinnerungskultur den Widerstandskämpfern und Befreiern viel Platz einräumt, nicht aber jenen 1,6 Millionen Soldaten, die jahrelang in der Gefangenschaft waren. Als er stirbt, hinterlässt er unter anderem ein schmales Tagebuch, in das er zahlreiche Notizen gekritzelt hat, unterstützt durch Zeichnungen und Zahlen.

Sein Enkel ist der Zeichner Florent Silloray, der bisher vor allem Kinderbücher illustriert hat. Er nimmt sich das Buch vor und arbeitet es systematisch durch. Er fährt beispielsweise die Orte ab, die sein Großvater besucht hat, wo er gegen die Wehrmacht kämpfte und wo er in Lagern untergebracht war. Das wiederum verarbeitet Silloray in einem bewundernswerten Comic-Band, der bereits im vergangenen Jahr erschienen ist.

»Auf den Spuren Rogers«, so der Titel des großformatigen Comics, ist eines der Werke, auf die der Begriff »Graphic Novel« zutrifft. In seinen ruhigen Zeichnungen erzählt Silloray keine Action-Geschichte; bei ihm gibt es keine rasante Action, keine knalligen Dialoge. Stattdessen bringt er die Geschichte seines Großvaters mit seiner persönlichen Suche zusammen – dabei entsteht ein Roman mit Bildern und Texten, der auch Lesern gefallen dürfte, die Comics ansonsten zu trivial finden.

In »Auf den Spuren Rogers« blendet die Handlung hin und her, was sich auch in den Farben widerspiegelt: Die Vergangenheit erscheint in düsteren Farben, wie Fotografien mit einem Sepia-Ton, während die Gegenwart bunt dargestellt wird. Die Idee, Standorte von früher mit den heutigen Bildern zu vergleichen, führt zu ungewöhnlichen Beobachtungen und Begegnungen, die Silloray hervorragend beschreibt und illustriert.

Der Comic ist nicht nur für Fans der grafischen Literatur empfehlenswert, sondern für alle, die sich für Zeitgeschichte oder ungewöhnliche Geschichten interessieren. Das Schicksal eines französischen Soldaten lässt sich schließlich mit den Schicksalen zahlloser anderer Menschen vergleichen, die im Verlauf der vergangenen Jahrzehnte gefangen genommen oder verschleppt worden sind.

Erschienen ist »Auf den Spuren Rogers« als wunderschön gestalteter Hardcover-Band im Avant-Verlag; es handelt sich dabei um ein Buch, das ich nach der ersten Lektüre sicher noch öfter in die Hand nehmen werde. Der Comic ist 112 Seiten stark und kostet 24,95 Euro. Wer sich davon überzeugen möchte, ob er den Preis wert ist, schaue sich die kostenlose Leseprobe auf der Internet-Seite des Avant-Verlags an.

Im Comic-Fachhandel sollte der Comic vorrätig sein, er ist aber dort ebenso zu bestellen wie über den regulären Buchhandel. Die ISBN 978-3-939080-85-5 ist dabei behilflich – und selbstverständlich gibt es den Comic auch bei Versendern wie Amazon.

Klaus N. Frick

Auf den Spuren Rogers
Silloray, Florent
Avant-Verlag
ISBN/EAN: 9783939080855
24,95 €
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