Die Woche der Graphic Novels (Teil 1) Jacques Tardi: Ich, René Tardi, Kriegsgefangener im Stalag II B

20. April 2015

Bedrückender Blick in Kriegsgefangenenlager

Im Jahr 2015 wird in zahlreichen Ländern an das Ende des Zweiten Weltkriegs gedacht. Man wird Kränze niederlegen, man wird an die Millionen von Ermordeten erinnern, man wird sich schwören, dass ein so schrecklicher Krieg nie wieder geschehen darf. Ein Thema geriet in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten allerdings ein wenig ins Hintertreffen: das Schicksal von Millionen Soldaten, die als Kriegsgefangene in fremde Länder verschleppt wurden.

Der französische Comic-Künstler Jacques Tardi hat sich des Themas angenommen – dabei bezieht er sich auf einen biografischen Hintergrund. Sein Vater René Tardi geriet im Mai 1940 in deutsche Gefangenschaft. Er wurde nach Pommern deportiert, wo er fast fünf Jahre in einem Gefangenenlager verbrachte. Nach Kriegsende schwieg der verbitterte Mann zu seinen Erlebnissen und öffnete sich erst in den 80er-Jahren dazu.

Aus den Erinnerungen seines Vaters entstand ein beeindruckender Comic, in dem Jacques Tardi einen wichtigen Teil des Kriegs in Erinnerung ruft. »Ich, René Tardi, Kriegsgefangener im Stalag II B« kam bereits im Oktober 2013 in den Handel, ist aber nach wie vor eine packende und wichtige Lektüre. Ich möchte sie jedem ans Herz legen, der sich für historische Themen und ungewöhnliche Comics gleichermaßen interessiert.

Dabei wählt Tardi für seinen Comic – hier passt der Begriff »Graphic Novel« sehr gut – einen ungewöhnlichen Zugang. Der Zeichner selbst spielt in diesem Comic mit: Obwohl er erst 1946 geboren wurde, begleitet er als kleiner Junge seinen Vater. Immer wieder werden die bedrückenden Erzählungen dadurch aufgebrochen, dass der Junge seinem Vater allerlei Fragen stellt. Das wirkt allerdings weder witzig noch zu locker, sondern ergibt einen zusätzlichen Blick auf eine nicht unbedingt schöne Episode der deutsch-französischen Nachbarschaft.

Der Comic-Künster schafft es mit seinen kantigen Schwarzweiß-Bildern und mit seiner lakonischen Art, die Geschichte zu erzählen, dem Leser die unterschiedlichsten Emotionen zu vermitteln. Er bringt die Verzweiflung der Gefangenen ebenso rüber wie die trostlose Stimmung in den Lagern, die schreckliche Behandlung russischer Soldaten oder die Arroganz der deutschen Offiziere.

Da die Erzählperspektive eindeutig ist, kommen die Deutschen nicht besonders gut weg: Entweder sind sie brutal oder dumm. Nur manche von ihnen verhalten sich menschlich gegenüber den Gefangenen, die immer hungern, denen es immer schlecht geht.

Manchmal sind die Comic-Seiten so trist gestaltet, dass die weitere Lektüre schwer fällt. Aber das ist gleichzeitig die Stärke des Comics: Tardi zeigt in »Ich, René Tardi, Kriegsgefangener im Stalag II B« das Schicksal seines Vaters und Millionen anderer Menschen so klar und eindeutig, dass es keine weiteren Fragen mehr zulässt.

Ich fand den Comic echt eindrucksvoll; das ist keine Massenliteratur, das ist wirklich »anspruchsvoll« im positiven Sinn. Erschienen ist er als 200 Seiten umfassender und großformatiger Hardcover-Band in der Edition Moderne. Er kostet 35 Euro und kann mithilfe der ISBN 978-3-03731-112-7 überall im Buch- und Comic-Fachhandel bestellt werden. Selbstverständlich kann man ihn auch über den Shop des Verlages sowie Internet-Händler wie Amazon erhalten.

 

Klaus N. Frick

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