Die Redaktion empfiehlt: Canardo Gesamtausgabe 1 von Benoit Sokal Ein Klassiker des modernen Erwachsenen-Comics

28. August 2014

Als zu Beginn der 80er-Jahre die erste Ausgabe von »Inspektor Canardo« in die deutschsprachigen Comic-Fachgeschäfte kam, war unsereins verblüfft: Das war ein ungewöhnlicher Comic! Zwar kannte man bereits Enten als Haupthandlungsträger – Donald Duck und seine Neffen ließen grüßen –, aber nie zuvor hatte man eine Ente so erlebt: misanthropisch, versoffen, trotz aller Funny-Stilmittel erstaunlich realitätsnah.

Für diejenigen, an denen die »Canardo«-Comics bisher vorbeigegangen sind, sowie für jene, die irgendwann einmal ein Album der Serie gelesen haben, gibt es seit neuestem eine sehr schöne Gesamtausgabe. Sie erscheint im Verlag Schreiber & Leser und kommt nicht im Format eines Albums in den Handel, sondern in dem »Book«-Format, das unter anderem die Superhelden-Comics haben. Dadurch werden die Zeichnungen zwar verkleinert, was angesichts der Textmenge manchmal eine gründliche Lektüre erfordert, aber das Buch liegt hervorragend in der Hand.

Zum Inhalt: Das seltsame Fantasy-Reich, das der belgische Zeichner Benoit Sokal schildert, wird von allerlei Tieren bewohnt, die aufrecht gehen, Anzüge und Krawatten tragen, alle schlechten Angewohnheiten von Menschen aufweisen und doch ihre tierischen Charakteristika erhalten haben. Sie saufen und huren, sie prügeln sich und führen Krieg – und zwischen all diesem menschlichen und tierischen Unrat gibt es den dauerhaft schlecht gelaunten und besoffenen Inspektor Canardo.

Wie der Name schon sagt, ist Canardo eine aufrecht gehende Ente, die meist einen Trenchcoat trägt – in diesem Fall lassen Krimi-Klassiker à la Marlowe grüßen – und die unvermeidliche Zigarette im Mund-, nein, eher Schnabelwinkel qualmen lässt. Canardo ist zwar eine gestrauchelte Existenz, die sich dem Alkohol hingibt, aber er hat seine moralisch eindeutige Linie. Er hilft den Schwachen, er setzt sich gegen die Mächtigen ein, aber konsequent kann er bei all seinen Aktionen nie bleiben.

Das merkt er, als irgendwann der besoffene Hund Fernando nach langer Zeit in seine Heimat zurückkommt und seine alte Liebe sucht. Und das merkt er erst recht, als er den aggressiven Kater Rasputin trifft, der in seiner sibirischen Heimat eine schreckliche Terrorherrschaft errichtet hat. Oder als er eine entführte Sängerin suchen soll, die bei ihren Liedern immer wieder Blut spuckt ...

In dem 144 Seiten umfassenden Comic-Band sind die ersten drei Alben der Serie enthalten. Sie zeigen bereits die Genialität des Zeichners und Autors, seine packende Art, Geschichten zu erzählen und in wuchtigen Bildern zu illustrieren. Das »Canardo«-Epos wurde in späteren Alben noch besser – aber die ersten drei Alben schlugen anfangs der 80er-Jahre geradezu ein. Sie dürften heute noch ihre begeisterten Leser finden.

Der erste Teil der »Canardo«-Gesamtausgabe ist nicht neu, sondern schon seit drei Jahren im Handel. Ich empfehle ihn trotzdem all jenen, die originelle Comics für Erwachsene mögen. Wer den Enteninspektor nicht kennt, sollte sich die Leseprobe des Verlages anschauen – ich halte ihn für einen wahren Klassiker der 80er-Jahre. Und wer danach weitere »Canardo«-Abenteuer lesen möchte: Die Gesamtausgabe hat mittlerweile einige Fortsetzungen erlebt.

Das schöne Hardcover-Buch kostet 22,80 Euro und kann mithilfe der ISBN 978-3-941239-69-2 in jeder Buchhandlung oder im Comicfachhandel bezogen werden. Selbstverständlich erhält man es auch bei Versendern wie Amazon oder direkt im Shop des Verlages Schreiber & Leser.

 

Klaus N. Frick