Die Redaktion empfiehlt: Andrea Camilleri: Romeo und Julia in Vigata Literarisch, historisch, sizilianisch

16. November 2016

Mit seinen Romanen um den Commissario Montalbano wurde der italienische Schriftsteller Andrea Camilleri auch im deutschsprachigen Raum zu einem Bestsellerautor. Dabei wird oft vergessen, dass er in seiner Heimat über diese Krimis hinaus als wichtiger und einflussreicher Mensch gilt. In seinen Romanen und Erzählungen vereinen sich stets ein kritischer Blick auf sein Heimatland mit ironischem Augenzwinkern und einem kenntnisreichen Blick auf die Details.

Das belegt sehr schön das Buch »Romeo und Julia in Vigata«. Es spielt in genau der Stadt auf Sizilien, in der auch die Montalbano-Romane angesiedelt sind, hat aber mit dem bekannten Ermittler nichts zu tun. Deshalb ist das Werk auch nicht bei Lübbe erschienen, sondern bei Nagel & Kimche. Das Buch möchte ich jenen Lesern empfehlen, die gegen historische Themen nichts einzuwenden haben und einen ironisch-literarischen Blick auf die Welt zu schätzen wissen.

Das Buch enthält acht Kurzgeschichten, die in einem Zeitraum angesiedelt sind, der vom Ende des 19. bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts reicht. Sie alle stellen die Schicksale von gewöhnlich erscheinenden Menschen ins Zentrum, die ihr Leben so zu gestalten versuchen, wie sie es für richtig halten. Doch andere Menschen haben etwas dagegen, die Kirche mischt sich ein, oder der Faschismus und der Zweite Weltkrieg sorgen für große Verwirrung.

Meine liebste Geschichte ist die von zwei Eisverkäufern, die über viele Jahre hinweg erbitterte Konkurrenten sind. Sie überstehen viele Ereignisse, bekommen mit, wie sich die Welt rings um sie verändert – aber ihr unaufhörlicher Konflikt bleibt. Jeder möchte den anderen übertrumpfen und ihm die Kunden abjagen. Die Geschichte ist mal komisch, mal skurril und endet traurig.

Eher politisch ist die Geschichte um einen Esel, der während der faschistischen Herrschaft ausgerechnet auf den Namen Mussolini getauft wird. Es geht dann natürlich nicht gut, wenn ein Tier namens »Mussolini« auf offener Straße verprügelt und beschimpft wird ...

Die Titelgeschichte des Buches hingegen, mit der die Storysammlung eingeleitet wird, ist sehr witzig. Es geht um zwei Familien, die in erbitterter Feindschaft stehen, und um zwei junge Menschen, die unsterblich ineinander verliebt sind. Da eine offizielle Liebe nicht möglich sein wird, bleibt nichts anderes übrig, als die Braut in spe zu entführen. Dass dabei dann alles mögliche schief geht, kann den Leser kaum überraschen...

Alle Geschichten zeichnet eine sehr lockere Erzählweise aus. Camilleri schildert seine Figuren mit viel Herz und Humor, sie sind sympathisch, und man versteht stets, was sie umtreibt. Sogar wenn die Geschichte einen leicht phantastischen Charakter aufweist, zeigt sie viel von der Lebenswirklichkeit in Sizilien. Nachdem ich das Buch durchgelesen hatte, wuchs der Wunsch in mir, auf dieser Insel endlich einmal Urlaub zu machen – allen politischen und sozialen Problemen zum Trotz, die der Autor nie ausspart.

Der 240 Seiten starke Hardcover-Band kostet 19,90 Euro; mithilfe der ISBN 978-3-312-00647-2 kann er in allen Buchhandlungen bestellt werden, ebenso bei Versendern wie Amazon. Darüber hinaus gibt es selbstverständlich eine E-Book-Version, unter anderem für den Kindle, die es zum Preis von 15,99 Euro gibt. Wer sich ein wenig mit der gelungenen Sammlung von Erzählungen vertraut machen möchte, dem empfehle ich übrigens, die Leseprobe auf der Internet-Seite des Verlages anzuschauen.

Klaus N. Frick